Um dem Reformationsjubiläum Gehalt zu geben, gilt es die damalige Entwicklung angemessen darzustellen, ein Gesamtbild ohne Verzerrungen und Mythen anzustreben und nach der Aktualität der Leitgedanken und reformatorischer Dynamik zu fragen. Dies sagte Peter Opitz, Professor für neuere Kirchengeschichte an der Universität Zürich, in einem Vortrag in Hinwil.

Die 500 Jahre geben Anlass, an der Reformation das gemeinsam Christliche hervorzuheben. Darum sei es den Reformatoren selbst auch gegangen, betonte Opitz. Er warf in seinem Vortrag am 7. Dezember Streiflichter auf die Reformation, welche von Zwingli in Zürich angestossen und vom Rat mit seiner Unterstützung durchgeführt wurde. «Die Schweizer Reformation war immer auch eine politische Sache, nicht nur eine religiöse.» Die Initialzündung gaben Luthers Thesen gegen die Ablasspraxis 1517. Doch suchten damals viele nach Wegen, kirchliche Missstände zu beheben.

Der gebürtige Toggenburger Zwingli tat dies als politisch interessierter Priester in den Spuren des Erasmus und anderer Humanisten, die antike Weisheit suchten. Als er am Neujahr 1519 auf die Kanzel des Grossmünsters trat, begann er das Matthäusevangelium fortlaufend auszulegen, statt (wie sonst in der Messe üblich) Heiligengeschichten zu erzählen. 1520 erkrankte Zwingli an der Pest. Sie brachte ihn an den Rand des Todes und machte ihm die Abhängigkeit von Gott bewusst.

Entschieden gegen Missstände
Das Söldnerwesen war in der Eidgenossenschaft zum grossen Geschäft geworden; Zwingli forderte einen Stopp. Die Schweizer sollten sich von ihrer Hände Arbeit ernähren. Der Leutpriester am Grossmünster griff kirchliche Missstände auf. Laut Opitz gibt es wenige Zeugnisse von Zwinglis früher Entwicklung. Doch schon 1516 war ihm klar geworden, dass das Christentum allein auf die Bibel gegründet werden muss. Seine Predigten schufen an der Limmat ein Klima, in dem kirchliche Gebote und Bräuche hinterfragt und – wenn nicht aus der Schrift zu begründen – abgelehnt wurden. 1522 schrieb er «Von Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes».

Anfang 1523 beschloss der Zürcher Rat nach einer Disputation mit 600 Teilnehmern, Zwingli solle weiter predigen und die anderen Priester ihm folgen. Im Herbst beschloss der Rat die Abschaffung der Messe. Bei diversen Provokationen kam es doch in Zürich nicht zu einem stadtweiten Bildersturm. Der Rat ordnete an, Bilder ihren Besitzern zurückzugeben oder mit dem Erlös Armen zu helfen. Das bisherige religiöse Leben kam erstaunlich rasch zum Erliegen, laut Peter Opitz ein Indiz für die Dringlichkeit der Reform.

Die ganze Gemeinde vor Gott
«Die Reformation war nicht ein Werk Zwinglis, sondern der Stadt – auch wenn Zwingli durch seine Argumente zunehmend Einfluss hatte.» Der Rat änderte auch die von Zwingli vorgelegte neue Liturgie fürs reformierte Abendmahl ab (Ostern 1525). Ihr revolutionärer Grundgedanke: Die ganze Gemeinde steht vor Gott. Christus ist in der Mitte. Zwingli ordnete Revolutionäres an: Die Teilnehmenden sollten einander das Brot weiterreichen und so der Versöhnung Ausdruck geben. Die vertikale und die horizontale Dimension wurden verschränkt.

Opitz machte mit knappen Hinweisen deutlich, dass aus dem theologisch-geistlichen Aufbruch, der mit Bibelauslegung und -übersetzung vertieft wurde, tiefgreifende soziale Wirkungen erwuchsen: Die Zürcher Reformation beinhaltete, dass die wahrhaft Bedürftigen als Auftrag der gesamten Gemeinschaft gesehen wurden. Die Stadt (damals etwa 5000 Einwohner) richtete ein soziales Netz ein. Das Betteln wurde verboten und Armenpfleger eingesetzt. Eine organisierte Armen- und Krankenfürsorge ersetzte das spontane Almosenwesen. Die Stadt richtete auch ein Ehe- und Sittengericht ein für Angelegenheiten, die bisher der Bischof von Konstanz entschieden hatte.

Das edle Angesicht Christi
Bei alledem ging es Zwingli und seinen Mitstreitern um die Ausrichtung des gemeinsamen Lebens auf Christus. Er schrieb: «Man muss … das edle Angesicht Christi, das von belastender menschlicher Überlieferung übertüncht, entstellt und verschmiert worden ist, wieder reinigen und säubern. Dann wird uns Christus wieder lieb. Wir spüren dann, dass sein Joch sanft ist und seine Lasten leicht» (Zwingli Schriften, Bd. I, S. 70).

Die Bibel erlebte und verstand Ulrich Zwingli als lebendiges Wort Gottes (theopneustos, 2. Timotheus 3,16). Gott spricht durch die Schrift; im Heiligen Geist wird seine Stimme gehört. Der Reformator schrieb 1522: «Spürst du, wie Gottes Wort dich erneuert und du anfängst, Gott mehr zu lieben als früher, als du Menschenlehren hörtest, so sei gewiss: Gott hat das bewirkt. Spürst du, dass dir die Gnade Gottes und das ewige Heil zur Gewissheit werden, so ist das von Gott. Spürst du, wie die Furcht Gottes dich mehr und mehr erfreut statt betrübt, so ist das ein sicheres Zeichen, dass Gottes Wort und Geist in dir wirken.»

Reformation heute?
Wie spricht der Reformator von damals zur Kirche heute? Laut Peter Opitz hat er ihr viel zu sagen. Christen sollen darauf vertrauen, dass Gott sich selbst durchsetzen kann. Die Botschaft ist auf den Punkt zu bringen – wie es die 2. These von 1523 tut: „Die Hauptsache des Evangeliums ist kurz zusammengefasst die, dass unserer Her Christus Jesus, wahrer Gottessohn, uns den Willen seines himmlischen Vaters mitgeteilt und uns durch seine Unschuld vom Tod erlöst und mit Gott versöhnt hat.“

Zur Kirche gehören alle, die den Namen Christi bekennen (keine konfessionalistische Engführung). Im Zentrum ihres Leben stehen das Hören auf Gottes Wort, das Tun aus Liebe, die Anrufung Gottes. Die Landeskirche, so Opitz, tut gut daran, die Grundlagenartikel ihrer Kirchenordnung ernst zu nehmen und zu fragen, was aus der Bibel zu begründen ist.

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