Geschichte der EKVZ

19. Jahrhundert:
Vom Straussenhandel zur Bekenntnisfreiheit

Im 19. Jahrhundert geht im Kanton Zürich die enge Bindung von Staat und Kirche zu Ende. Dies ist mit intensiven politischen, rechtlichen und theologischen Auseinandersetzungen verbunden. Dabei geht es vor allem um den Aufbau einer demokratischen Rechtsordnung, um die Religionsfreiheit und das Glaubensbekenntnis. Seit 1803 gilt das Zweite Helvetische Bekenntnis des Reformators Heinrich Bullinger nicht mehr.

Ausgelöst durch die Berufung des deutschen Theologen David Friedrich Strauss 1837 als Professor für Neues Testament an die neu gegründete Universität („Straussenhandel“), kommt es 1839 zum „Züri-Putsch“. Die Zürcher Regierung wird gestürzt. Es entstehen zwei Lager. Vom Pietismus geprägt, halten Laien und Geistliche auf der einen Seite an der Glaubwürdigkeit der Schrift fest (sog. positive Richtung). Sie betonen die Bedeutung von Mission und Diakonie. Auf der anderen Seite stehen die Liberalen in Politik und Theologie, mit rationalistischer Bibelkritik und der Forderung nach Bekenntnisfreiheit. Schon in den Vierzigerjahren gewinnen die liberalen Kräfte wieder die Oberhand.

In den Sechzigerjahren setzen sich die Liberalen in Politik und Kirche vollends durch: Mit der Verfassung von 1869 werden wichtige Anliegen der direkten Demokratie verwirklicht (Volkswahl der Regierung, Initiativrecht, Referendum usw.). 1868 beschliesst die aus den Pfarrern bestehende Synode mit 68 zu 55 Stimmen, dass Taufe und Abendmahl mit oder ohne Apostolisches Bekenntnis gefeiert werden können; bei der Konfirmation wird darauf verzichtet. Damit bewahrt die in der Bekenntnisfrage gespaltene Landeskirche nach aussen hin ihre Einheit.

Am Evangelium festhalten

Die bibelorientierten Kräfte leiden unter dem Mangel einer Zeitung, die ihre Anliegen verficht. Daher schliessen sich drei befreundete Pfarrer aus Bern, Basel und Zürich zur Herausgabe des „Kirchenfreunds“ zusammen. Das seit Januar 1867 erscheinende Blatt verstärkt den Wunsch nach persönlicher Begegnung über die Kantone hinaus.

Am 26. September 1871 gründen 61 Abgeordnete aus allen reformierten und paritätischen Kantonen mit Ausnahme von Glarus und Schaffhausen in Olten den „Schweizerischen evangelisch-kirchlichen Verein“. In den Statuten wird „die ernste Lage unserer schweizerisch-reformierten Landeskirchen“ erwähnt, „worin die Bekenntnisse aus der Reformationszeit kein gesetzliches Ansehen mehr geniessen, und der Gebrauch, welcher von der Lehrfreiheit gemacht wird, den christlichen Charakter unserer Kirchen bedroht“.

20. Jahrhundert:
Osterfreude zwischen Gräbern

Der Schweizerische Evangelisch-kirchliche Verein bildet kantonale Sektionen. Die Zürcher Sektion zählt etwa 300 Mitglieder. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Presse, der Sonntagsheiligung und einem neuen Schulgesetz und veranstaltet Vorträge. 1902 schliessen sich in der Stadt Zürich die sog. positiven Vereine, die sich in mehreren Stadtkreisen gebildet haben, zur Positiv-evangelischen Vereinigung der Stadt Zürich zusammen. Mitglieder sind 670 Reformierte aus den verschiedenen Kirchgemeinden.

1908 beginnt die Positiv-evangelische Vereinigung der Stadt Zürich, am späteren Nachmittag des Ostersonntags Gottesdienste auf dem Friedhof Sihlfeld zu organisieren, seit 1911 auch auf dem Friedhof Enzenbühl und ab 1914 zudem auf dem Friedhof Nordheim.

Stadt und Land verbinden

Am 16. Februar 1914 gründet der Synodalverein, die positiv ausgerichtete Fraktion in der Kirchensynode, die Positiv-evangelische Vereinigung des Kantons Zürich. Ihr Zweck ist es, „die Interessen der zürcherischen Landeskirche im allgemeinen und der positiv-evangelischen Richtung im besonderen im öffentlichen Leben zu vertreten“.

Ein Erfolg ist 1923 die Berufung von Gottlob Schrenk, Sohn des Evangelisten Elias Schrenk, als Professor für Neues Testament an die Universität Zürich. 1949 folgt ihm Eduard Schweizer auf den Lehrstuhl.

In diesen Jahrzehnten sind Mission, Evangelisation und soziales Engagement ein wichtiges Anliegen der Vereinigung. Das 1953 geschenkte Haus „zur Quelle“ in Braunwald wird zu einem Ort der Erholung in der Stille; es gehört bis 2012 der EKVZ.

1974 schliessen sich die Vereinigungen der Stadt sowie des Kantons zur Evangelisch-kirchlichen Vereinigung von Stadt und Kanton Zürich (EKVZ) zusammen (später in Evangelisch-kirchliche Vereinigung des Kantons Zürich umbenannt). Es folgen Jahre des Rückzugs und der Anpassung. Eine Werbeaktion 1977 bleibt ohne Erfolg.

Aufbruch und Konfrontation

Nach 1989 kommt es unter dem Präsidium von Pfr. Hans-Peter Christen (1987-1993 und 1994-1998) zu einem Aufbruch in der EKVZ. 1990 formuliert der EKVZ-Vorstand Selbstverständnis und Stossrichtung in zwölf Grundsätzen. Die Mitgliederzahl steigt innert zwei Jahren von rund 100 auf etwa 250 Mitglieder. Der erste EKVZ-Rundbrief erscheint. Die Vereinigung äussert sich erneut zu aktuellen kirchlichen und gesellschaftspolitischen Fragen. Dies ist mit Auseinandersetzungen verbunden:

Prof. Georg Huntemann, Bremen, hält 1989 auf Einladung der EKVZ in der voll besetzten Helferei des Grossmünsters einen kritischen Vortrag über die feministische Theologie. Mehrmals nimmt die EKVZ Stellung zum Richtungskonflikt in der Kirchgemeinde Eglisau. Im Zentrum ihrer Kritik steht das Verhalten des Kirchenrats, der beharrlich eine der beiden Konfliktparteien bevorzugt und sie finanziell unterstützt.

1991 prüft die EKVZ als Folge der Einseitigkeit des „Kirchenboten“ und namentlich einer konkreten Wahlempfehlung bei den Regierungsratswahlen die Herausgabe einer Alternative. Auf Anfrage der EKVZ erklären sich zahlreiche Kirchgemeinden im Kanton bereit, ihre Gemeindeseite einer Zeitung der EKVZ beizulegen. Es kommt allerdings nicht so weit, denn der vom Pfarrverein herausgegebene Kirchenbote lenkt ein. Sonja Beier-Maag, Mitglied der Kirchensynode seit 1987 und Vorstandsmitglied der EKVZ, wird in die Herausgeberkommission gewählt.

Kritisiert wird 1992 die tendenziöse Darstellung bibeltreuer Einrichtungen im Buch der kantonalen Erziehungsdirektion über „totalitäre Gruppierungen“ (Handbuch „Das Paradies kann warten“). Der damalige Kirchenratspräsident Ernst Meili muss in der Folge zugeben, bei der Ausarbeitung mitgewirkt zu haben – ohne Wissen des Kirchenrates. Die EKVZ wendet sich gegen Segnungsfeiern der Landeskirche für Homosexuelle.

21. Jahrhundert:
Mit Synode-Fraktion und Sitz im Kirchenrat

1991 konstituiert sich in der Kirchensynode die Evangelisch-kirchliche Fraktion (EKF) aus Mitgliedern der EKVZ und mit ihrer Unterstützung. Sie stellt sich bewusst in den Rahmen der Geschichte und des Auftrags der EKVZ. Erster Fraktionspräsident wird Werner Schädler.

2001 bezeichnet die EKF das neue Oberstufenlehrmittel „Menschen-Religionen-Kulturen“ als nicht zielführend. Sie fordert eine klare evangelische Orientierung der Erwachsenenbildung. Mehrfach weisen Synodale der EKF auf die akute Verfolgung von Christen in Asien und Afrika hin, da dieses Thema in landeskirchlichen Stellungnahmen zu kurz kommt.

Die EKF wächst – bei insgesamt 180 Sitzen der Kirchensynode – von 12 Mitgliedern 1991 auf 25 Mitglieder 2007. Daher wird der EKF ein Sitz im Kirchenrat zugestanden: Die Kirchensynode wählt 2007 Daniel Reuter (EKVZ-Vorstandsmitglied von 1985 bis 1995 und seit 2012) in die Kirchenleitung. Seit 2011 besteht die Kirchensynode aus 120 Mitgliedern; der Evangelisch-kirchlichen Fraktion gehören 22 Synodale an.

Durch ihre Publikationen – das INFO wird kantonsweit an Kirchenpflegen versandt – bringt die EKVZ die Stellungnahmen der EKF in der Synode die die Öffentlichkeit, namentlich den Widerstand gegen Zentralisierung und forcierte Zusammenschlüsse von Kirchgemeinden im Zuge der Strukturreform KirchGemeindePlus.

Pfr. Christian Meier übernimmt 2022 von Pfr. Willi Honegger, der die EKF seit 2007 geleitet hat, das Präsidium und gibt den Vorsitz der EKVZ ab. An seine Stelle tritt im Sommer 2023 Thomas Bucher, Präsident der Kirchgemeinde Zürich-Hirzenbach. In der deutlicher zu Tage tretenden Krise der Kirche gewinnt die EKF 2023 mehr Sitze in der Synode.

Im Sommer 2023 erscheint im Theologischen Verlag Zürich das Buch „Frommes Zürich“ von Armin Sierszyn. Es zeichnet die wechselvolle Geschichte des Zürcher Pietismus mit Schwerpunkt im 19. Jahrhundert nach.

Grundsätze

Zentral für die EKVZ und die evangelisch-kirchliche Bewegung innerhalb der Landeskirche bleiben folgende Grundsätze:

• Einstehen für einen evangeliumsgemässen Glauben an Jesus Christus als Gottes Sohn, Herrn und Erlöser
• Verbindung von persönlichem, gelebtem Glauben, theologischem Schaffen und missionarisch-diakonischem Handeln in der Landeskirche und entsprechende Einflussnahme auf die Kirchenpolitik
• Vernetzung auf lokaler und kantonaler Ebene.

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