Wie kommt die Zürcher Landeskirche zu weniger und grösseren Kirchgemeinden? Die Frage nach Chancen und Risiken einer Strukturreform beherrscht die Kirche seit einem Jahr. Die Gemeindeautonomie gibt den Kirchenpflegen grosse Verantwortung. Die Kirchenleitung sendet diverse Signale.
Im Frühjahr fanden sechs Regionalkonferenzen statt, an denen Kirchenpflegen und Mitarbeitende informiert wurden, diskutieren und Meinungen und Fragen äusseren konnten. Kirchenratspräsident Michel Müller appellierte an die Teilnehmenden, die Probleme zu „überholen, indem wir kraftvolle und handlungsfähige Kirchgemeinden bilden, die den Rückgang nicht verwalten, sondern aufhalten können“. Theologieprofessor Ralph Kunz lud dazu ein, theologisch über den Umbau nachzudenken. Die geglaubte Kirche sei das Kapital, mit dem er gestartet werden könne.
Nach den Konferenzen wenig Dialoge
Der Kirchenrat hat die Regionalkonferenzen zu KirchGemeindePlus (KGP) ausführlich ausgewertet und in 15 Punkten bilanziert. Nun sind die Kirchenpflegen dran. Der wiederholte Appell, die nächsten Monate für „ImpulsDialoge“ zu nutzen, hat bisher aber wenig gefruchtet: Bis zum 13. August wurden für den Herbst vier ImpulsDialoge initiiert, darunter zwei durch die Hinwiler Bezirkskirchenpflege. Das Interesse an überörtlichen Gesprächen scheint begrenzt. Der Kirchenrat will die Kirchenpflegetagungen im kommenden Winter zur Weiterarbeit nutzen.
Was haben die Regionalkonferenzen (Bericht) gebracht? An den sechs Abenden kam eine Fülle von Gesichtspunkten, Fragen und Befürchtungen zum Ausdruck, auch Ablehnung („Diese Fusion ist nicht gewünscht und nicht machbar“). Vielfach wurde über Grenzen hinaus gedacht. So äusserte eine Gruppe den Wunsch, „auch als Minderheitenkirche Gesellschaftskirche“ zu sein.
Hoher Anspruch – und Skepsis
In den 15 Folgerungen des Kirchenrats fällt der hohe Anspruch auf: „Der Reformprozess bietet die Chance zur reformierten Selbstvergewisserung. Damit erarbeiten wir neu unser theologisches Fundament und ziehen daraus die zeitgemässen Konsequenzen. Diese inhaltliche Diskussion geht vor. Dann organisieren wir uns neu, auch in neuen Gemeindeformen.“ Der Kirchenrat bringt die Spannung auf den Punkt: „Wie kann KirchGemeindePlus zu einem Prozess werden, bei dem strukturelle Veränderungen und geistliche Erneuerung Hand in Hand gehen?“
Darum geht es in der Tat. Wenn Strukturelles für die örtlichen Kirchenpflegen fassbar ist, weil sie bereits leiten und verwalten, muss vermutet werden, dass „geistliche Erneuerung“ keine ihnen vertraute Aufgabe ist – wenn sie überhaupt aufgetragen werden kann. Dass der Kirchenrat viel Skepsis registriert, verwundert gerade in diesem Zusammenhang nicht. An den Regionalkonferenzen wurde auch gefragt: „Wie bringen wir Christus in Zentrum des Prozesses?“ und: „Wie können wir dem verändernden Geist Raum geben?“
Erste öffentliche Reaktionen
Die vier Kirchenpflegen im Furttal nordwestlich von Zürich haben bereits Anfang 2012 die Kommission „Synergien im Furttal“ gebildet. Für Peter Nell, Präsident in Dällikon-Dänikon, geht es nicht vor allem ums Sparen, sondern um neue Möglichkeiten, etwa einen Pool an Pfarrpersonen, die durch Stilunterschiede mehr Menschen ansprechen könnten. Im Gemeindeblatt verwies Nell auf den abnehmenden Gottesdienstbesuch und die Austritte; damit stelle sich die Frage, ob die Kirche zukunftstauglich sei.
Skeptischer als Nell sind die Kirchenpflegen des Bezirks Dietikon. In einem Brief an den Kirchenrat schrieben sie, er riskiere eine „Entfremdung von der Kirche und Austritte“. In der Zürcher Oberländer Kirchgemeinde Bubikon sammelte ein Komitee mit den beiden Pfarrern über 1000 Unterschriften für eine Petition: Die Kirchenpflege soll sich für den Erhalt der Selbständigkeit der Kirchgemeinde einsetzen. Die Kirchenpflege teilte an der Gemeindeversammlung im Juni mit, sie stehe KirchGemeindePlus „kritisch bis ablehnend“ gegenüber und werde das Anliegen der Gemeindebasis nach Kräften vertreten. Das Pfarrkapitel Hinwil will mit einem Papier, das im September verabschiedet werden soll, die Diskussion über Inhalte anregen.
Gemeinden autonom, aber…
Der Kirchenrat und sein KGP-Beauftragter Martin Peier schwanken zwischen einem forschen, drängenden Grundton und Beteuerungen, dass die Kirchgemeinden – bei vorgegebener Agenda – den Prozess selbst steuern können. So wurde Kirchenratssprecher Nicolas Mori im Zürcher Oberländer (25. Juni) zu Bubikon mit den Worten zitiert: „Der Ball bleibt bei den Gemeinden. Sie sind autonom und bestimmen selbst, ob und wie sie das Projekt KirchGemeindePlus umsetzen – es gibt keine Zwangsfusionen.“ Anderseits hielt Mori fest, eine vertiefte Zusammenarbeit von Kirchgemeinden reiche nicht. „Der Zug fährt. Man kann ihn nicht aufhalten. Irgendwann muss klar werden, dass man einsteigen sollte.“
Überörtliche Profis
Jörg Leuthold, Pfarrer in Rickenbach, hat in Kommentaren auf der KGP-Website und einem Statement für die EKVZ der Skepsis mancher Landpfarrer Ausdruck gegeben: „Die Kirche gehört ins Dorf.“ In überörtlichen Strukturen werden Professionelle vermehrt gestaltend wirken. Wer tritt der Befürchtung entgegen, dass sie das Heft so in die Hand nehmen, dass Freiwillige und Behördenmitglieder, die jetzt am Ort engagiert wirken, sich zurückgesetzt und entmutigt fühlen?
Das Jubiläum am Horizont
Ein ungutes Gefühl hinterlässt die auf der KGP-Website prominent platzierte Behauptung, die Kirchensynode habe den Aufbruch-Prozess ausgelöst. Es war der Kirchenrat, der ein Postulat, das auf die Stärkung kleiner Kirchgemeinden zielte, im Sommer 2012 ganz anders als intendiert beantwortete, zur Lancierung seiner Thesen nutzte und den Prozess in Gang setzte. Dass die Kirchenleitung KirchGemeindePlus aufgrund der Rückmeldungen sensibel weiter entwickelt, darf erwartet werden – sonst zerbräche viel Geschirr.
Dies wäre auch dann der Fall, wenn im Blick aufs Reformationsjubiläum 2019 alle Kirchgemeinden unter Druck kommen, in der nächsten Amtszeit 2014-2018 Beschlüsse zu fassen. Die Unterschiede zwischen den Regionen sind gross, die Uhren ticken nicht gleich: Da und dort nehmen Kirchenpflegen die Agenda dankbar auf, weil sie angesichts des Verfalls kirchlichen Lebens dringenden Handlungsbedarf spüren, und denken Fusionen an. Andere wollen den laufenden Gemeindeaufbau nicht mit neuen Strukturen gefährden.
Es wird einige gute Argumente (und Windstösse des Heiligen Geistes) brauchen, damit sie sich vom (Zweck-)Optimismus des Kirchenrats anstecken lassen und den „Wandel als Chance zur Freiheit – für neue Formen, Milieus, Trends“ begreifen. Der Kirchenrat könnte das Jubiläum auf 2023 verschieben – 500 Jahre nach dem Beschluss des Zürcher Rats zur Reformation…
6 Statements zu KirchGemeindePlus – diskutieren Sie mit!
Interview mit Kirchenratspräsident Pfr. Michel Müller