Seelsorge an der Grenze

8. April 2016 – Am 5. April billigte die Kirchensynode nach längerer Debatte eine Verordnung, die dem Kirchenrat grossen Handlungsspielraum in Spitälern und Pflegezentren gibt und es deren Seelsorgern freistellt, Abdankungen zu halten. Kirchenratspräsident Michel Müller skizzierte, was mit einem Bistum Zürich auf die Reformierten zukommen würde.

Die Seelsorge an Betagten, Kranken und Pflegebedürftigen hat seit den 1990er Jahren mehr Gewicht erhalten. Die Aufenthaltsdauer in Spitälern sank, während mehr grosse, regionale Pflegezentren eingerichtet wurden. Um Ungleichheiten im Kanton auszuräumen, gab die Kirchensynode bereits 2008 grünes Licht für eine landeskirchliche Regelung. In der Verordnung, die nach jahrelangen Vorarbeiten der Kirchensynode vorgelegt wurde, ist die Spannung zwischen Spezialseelsorge und dem Auftrag des Gemeindepfarramts nicht gelöst. Sie prägte die holprige Beratung am 5. April.

Kranke, Häftlinge, Asylsuchende

Die Verordnung betrifft die von der Landeskirche errichteten Pfarrämter in grossen Kliniken, Regionalspitälern und regionalen Pflegeeinrichtungen. Die insgesamt 36.6 Stellen bilden den grössten vom Kirchenrat verantworteten Tätigkeitsbereich. In der Verordnung geregelt wird auch die Seelsorge in Gefängnissen und von Pfarrämtern mit gemischter, teils ökumenischer Trägerschaft: Flughafenpfarramt und Bahnhofkirche, Seelsorge für Polizei und Rettungskräfte, Dienste im Bundesasylzentrum (insgesamt 8.4 Stellen).

Kirchenrätin Esther Straub hob die Bedeutung der Seelsorge in Institutionen fürs Ansehen der Kirche in Gesellschaft und Staat und ihren Nutzen fürs überkonfessionelle und interreligiöse Miteinander hervor.

Willkürliche Handhabung und vage Formulierungen

Zu reden gaben vor allem die grossen regionalen und Stadtzürcher Pflegeeinrichtungen, in denen der Kirchenrat eigene Pfarrämter errichtet hat. In örtlichen Pflegeheimen betreuen die Gemeindepfarrer die Bewohner und das soll so bleiben. Unklar bleibt in der neuen Verordnung die Abgrenzung. Dass die Kriterien dafür nicht festgehalten werden, widerspricht laut dem Synodalen Karl Stengel den Anforderungen heutiger Rechtsetzung.

Als willkürlich bezeichnete Stengel, dass Kirchgemeinden mit kleinen Pflegeheimen auf ihrem Gemeindegebiet doppelt belastet werden: Sie erbringen diese Leistungen selber und müssen zudem über den Zentralkassenbeitrag auch für die «begünstigten» Gemeinden zahlen (nicht in allen betroffenen Gemeinden gibt es von der Kantonalkirche finanzierte Erhöhungen der Pfarrpensen bzw. Ergänzungspfarrstellen). Weiter kritisierte Stengel unbestimmte Formulierungen, die fehlende Transparenz, die zu weitgehende Delegation von Kompetenzen an den Kirchenrat und unklare Übergangsbestimmungen.

Handlungsspielraum für die Exekutive: Kirchenrätin Esther Straub im Gespräch.

Struktur vor Beziehung

Esther Straub entgegnete, die Mehrbelastung von Gemeindepfarrern gleiche der Kirchenrat mit Erhöhungen der Pensen aus. Franco Sorbara, Gemeindepfarrer in Zürich-Hirzenbach, wurde um 10 Prozent entlastet. Er fragte jedoch, ob es Sinn mache, dass er jährlich über 25 Abdankungen halte von Personen, die ohne Kontakt zu seiner Kirchgemeinde im Zentrum Mattenhof lebten und die er nicht begleitete? Für Angehörige, die nicht mit der Gemeinde verbunden seien?

Laut Verordnung soll dies generell so bleiben; allerdings können Seelsorgende der Institution «auf Wunsch der verstorbenen Person oder ihrer Angehörigen die Abdankung halten, wenn seelsorgliche Gründe dies gebieten». Dies sei nicht von der Seelsorge-Beziehung her gedacht, äusserte Sorbara. Der Antrag, die Pfarrer/innen in den Pflegezentren verbindlicher mit Abdankungen zu betrauen, wurde von der Synode indes abgelehnt.

Zum Unmut im Rathaus trug bei, dass die vorberatende Kommission sich bloss einmal getroffen hatte – bevor die Synodalen den Text der Verordnung überhaupt zugesandt bekamen. Während der Kirchenrat drei kleine von der Kommission beantragte Änderungen annahm, lehnte Esther Straub alle anderen Vorschläge ab: Die Kirchensynode habe die Verordnung jetzt zu verabschieden; die Umsetzung obliege dem Kirchenrat. Die Synodalen lehnten endlich die Rückweisung der Vorlage wie auch die von Karl Stengel beantragte Befristung auf 2022 ab (37 zu 75). Sie billigten endlich die Verordnung samt einer Teilrevision der Personalverordnung mit 94 Ja zu 12 Nein.

Mehr Profil!

Grossmünster und Rathaus in Zürich.

Umbauten im Kloster Kappel und das Profil der Kirche in der Öffentlichkeit waren weitere Traktanden der Versammlung. Zum öffentlich wahrnehmbaren Auftritt hatte der Kirchenrat einen Bericht erstellt. Namens der vorberatenden Kommission regte Theddy Probst an, das Profil weiter zu schärfen. Die Landeskirche könne mehr in die Öffentlichkeit treten und Themen proaktiv bearbeiten. Laut Kirchenratspräsident Michel Müller bietet sich das Reformationsjubiläum an.

Prof. Christiane Tietz, Vertreterin der Theologischen Fakultät in der Kirchensynode, gab zu bedenken, dass für ein schärferes Profil im säkularen Umfeld „Offenheit und Dialogfähigkeit“ nicht genügen. Es müsse zur Sprache kommen, „dass wir Kirche sind und Christen sind“. Kirchenrat Bernhard Egg informierte über die Aktivitäten von Kirchgemeinden zugunsten von Asylsuchenden (gegen 60 sind aktiv, 15 beherbergen). Er wies auch auf die verzweifelte Lage der christlichen Minderheiten in Syrien und Irak hin. Im Staatskonzept der Dschihadisten sei für sie kein Platz.

Bistum Zürich?

Michel Müller legte Überlegungen des Kirchenrats zur allfälligen Schaffung eines Bistums Zürich dar. (Der Kirchenrat ist in eine Umfrage des Bischofs von Chur einbezogen.) 1997 hatten Weihbischof Peter Henrici und Kirchenratspräsident Ruedi Reich in ihrem Ökumene-Brief geschrieben: „Längst ist uns bewusst, dass unsere Kirchen viel mehr miteinander verbindet als trennt.“ Seither ist viel Wasser die Limmat hinunter geflossen. Mit der nun diskutierten Einsetzung eines Bischofs verbindet der Kirchenrat offenbar die Hoffnung, die Ökumene zu entwickeln („eucharistische Gastfreundschaft“) und besser gegenüber Andersgläubigen und säkularen Kräften aufzutreten.

Im Gegenüber zu den Katholiken vor Ort, so Müller, würde sich mit einem Bischof „verstärkt die Frage stellen: Wofür stehen die Reformierten? Was haben sie zu sagen und zu bekennen? Und wer kann für sie sprechen?“ Die Antwort ist für Müller offen. „Und jede mögliche Antwort wird ihren Preis haben.“

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