Kirche nach dem Digitalisierungsschub

9. Juli 2020 – Die Corona-Pandemie hat auch die Kirchen hart getroffen und auf die Probe gestellt. Manche Gemeinden wurden in der Not kreativ und versuchten Neues, das weitreichende Fragen aufwirft. Die Zürcher Kirchensynode fand am 7. Juli wegen der Abstandsvorschriften in der Stadthalle Bülach statt. Neben Jahresbericht und -rechnung widmete sie sich den Auswirkungen der Pandemie. Zu den Erfahrungen im Lockdown hatte die Evangelisch-kirchliche Fraktion eine Aussprache beantragt.

Nach siebeneinhalb Monaten Pause suchten der Kirchenrat und die Synodalen in der kühlen Weite der Bülacher Stadthalle unter Leitung von Simone Schädler den courant normal in der Bearbeitung der Traktanden – doch von Normalität konnte schon wegen der Reinigung des Rednerpults nach jedem Votum keine Rede sein. In der einstündigen Aussprache wurden Aktivitäten in Gemeinden, das Vorgehen des Kirchenrats, die Isolation von Heimbewohnern, weitere soziale Aspekte und Nöte von Christen im Ausland thematisiert.

In den Kirchgemeinden wurde, wie der Gossauer Pfarrer Christian Meier festhielt, viel Kreativität sichtbar (Telefonaktionen, Livestream-Angebote, Grusskarten, Einkaufen für Betagte). Als Seelsorger habe er sich in seiner Arbeit nicht genügend unterstützt gefühlt, sagte Meier. Dass Restaurants aufgingen, die Menschen sich aber nicht in Kirchen treffen konnten, habe in der Öffentlichkeit eine mindere Wichtigkeit von geistlicher und seelischer Unterstützung nahegelegt. «Die Kirche war in der Krise auf politischer Ebene nicht systemrelevant.»

Zugang zu Leidenden blockiert

Dies spürten laut Christian Meier namentlich Menschen in Not, zu denen Seelsorgerinnen und Seelsorger im Lockdown keinen wirklichen Zugang hatten. Gerade in privaten Institutionen sei diesen der Zutritt verboten worden. Meier fragte, ob Kirchenvertreter genügend unternommen hätten, um der Kirche in dieser Situation Raum zu schaffen. «Wurden im Regierungsrat und auf Bundesebene die Themen Isolation von Menschen und ethische Fragen rund um das Sterben wirklich mit Nachdruck eingebracht?»

Für die digitalen Angebote waren nach Christian Meier auch viele ältere Menschen dankbar. Doch könne eine digitale Kirche nie Kirche vor Ort ersetzen. «Beziehungen erkalten und der Kirchenbesuch nimmt ab. Kirche vor Ort bedeutet auch, dass die Kirche ganz physisch zu den Menschen geht.» Darum habe die Landeskirche die lokale Arbeit der Kirchgemeinden vermehrt zu stärken. Kirche werde dort wahrgenommen, «wo Begegnungen geschehen, wo Gespräche stattfinden und füreinander ein Gebet gesprochen wird».

Was soll Kirche?

Mehrere Synodale dankten dem Kirchenrat für die zeitnahe Information. Laut dem Theologiestudenten Daniel Oswald gingen manche Menschen während des Lockdown einzeln in die Kirche, um sich zu besinnen. Oswald fragte, ob sich der Kauf digitaler Ausrüstung für alle Kirchgemeinden lohne. «Muss jede einen Online-Gottesdienst machen?» Die Kirche hätte sich mehr noch für Obdachlose und Bedürftige, die von den Behörden vergessen worden seien, engagieren müssen.

Ivan Walther, Pfarrer in Urdorf, sah durch die Pandemie die Frage neu gestellt, was Kirche sein soll. «Wie ist der Zusammenhang von real anwesenden Menschen und solchen, die von fern zuschauen?» Die religiöse Grundfrage, was das alles mit Gott zu tun habe, sei zu stellen, sei von der Kirche aufzugreifen – und nicht gleich zu beantworten. Er habe bei Pfarrkollegen «eine gewisse Unbeholfenheit gespürt», sagte Walther.

Für Gina Schibler, Volketswil, gibt die Pandemie Lehren auch für die Klimakrise: Der Verweis auf Eigenverantwortlichkeit greift nicht ohne klare Vorgaben, was wir miteinander zu tun haben. Giorgio Girardet aus Bubikon schilderte die weitgefächerte diakonische Arbeit der Waldenserkirche in Italien. Da sie die hohen ihr zugewiesenen Summen der Mandatssteuer nicht für Personal und Gebäude einsetzen kann, steckt sie in der Finanzklemme.

Digitalisierungsschub

Annelies Hegnauer, Präsidentin der Stadtzürcher Kirchgemeinde, kommentierte den Digitalisierungsschub. Die gemachten Erfahrungen seien zu prüfen, um das Gute zu behalten. Die TeleZüri-Gottesdienste hätten grossen Zuspruch über die Kantonsgrenzen hinaus gefunden. Angesichts der Kosten (8‘000 Franken/Sonntag) lud Hegnauer andere Gemeinden ein, sich zu beteiligen.

Der Jus-Student Benedikt von Allmen empfahl, neben digitalen Angeboten weiter auf physische Gottesdienste zu setzen; denn digitaler Austausch mit Dutzenden Personen sei nicht fruchtbar. Yvonne Wildbolz unterstrich die von Meier zuvor erwähnten Schwierigkeiten der Seelsorge in Alters- und Pflegeheimen. Kirchenratspräsident Michel Müller dankte für die Voten. Der Rat habe schon mit der Auswertung der Erfahrungen begonnen. Über 80 Tage sei täglich ein Gebet online gestellt worden.

Jahresbericht fürs Auge

Der Jahresbericht des Kirchenrats – erstmals in einer gedruckten Teilversion (für die Öffentlichkeit) und einer Vollversion (online) für die Rechenschaftsablage erstellt – gab wenig zu reden. GPK-Präsident Bruno Kleeb fand es merk-würdig, dass im Jubiläumsjahr 2019 (500 Jahre nach Zwinglis Beginn im Grossmünster) die Mitgliederzahl der Kirche um 8600 Personen sank – so viele wie noch nie.

Mehrere Synodale lobten die Bilder im Jahresbericht. Im Bereich «Gemeindeaufbau und Leitung» sind zuerst kirchliche Schritte angesichts des Klimawandels thematisiert. Peter Fischer kritisierte, dass mehrere Kirchgemeinden Gruppenreisen nach Armenien durchführen. Der Jahresbericht wurde nach einer Stunde ohne Gegenstimme genehmigt.

Kirchenräte und Synodeleitung in der Bülacher Stadthalle

«Kirchgemeinden übermässig belastet»

Ohne Kritik nahm die Synode die Jahresrechnung der landeskirchlichen Zentralkasse ab. RPK-Präsident Gerhard Hubmann fand, vor den infolge Corona absehbaren Einbrüchen sei dieser Abschluss jetzt zu geniessen. Der erneute Ertragsüberschuss (5,2 Millionen Franken) sei auf den zu hohen Beitragssatz zurückzuführen: «Die Kirchgemeinden wurden übermässig belastet.» Das Eigenkapital der Landeskirche lag Anfang Jahr bei 56,8 Millionen Franken. «Vielleicht nützt uns das jetzt in diesen anspruchsvollen Zeiten.»

Kirchenrätin Katharina Kull erläuterte die Rechnungslegung, erstmals nach Swiss GAAP FER, welche die Teilbereiche einschliesst, nun auch den Theologischen Verlag Zürich TVZ. Nach Kulls Einschätzung werden die Steuererträge infolge der Pandemie ab 2022 stark sinken; jene von Unternehmen um 25 Prozent, jene von Personen um 10 Prozent. Der Kirchenrat wolle nach dem Sommer Einsparungen diskutieren.

Klima-schädigendes Verhalten mindern

Was tut die Kirche für den Klimaschutz? Dass der Kirchenrat die Vorgaben des «Grünen Güggel» für Kirchgemeinden verbindlich machen will, freute die Interpellantin Moni Müller. Die Kirchenpflegen sollen ein Ressort «Umwelt/Nachhaltige Entwicklung» schaffen. Die Landeskirche unterstützt den Verein oeku, welcher mit dem «Grünen Güggel» klimafreundlich handelnde Kirchgemeinden zertifiziert (bisher vier der Zürcher Landeskirche, landesweit 21). Der Kirchenrat will «die Kirchgemeinden auf dem Weg zur Zertifizierung begleiten und unterstützen»; ein besseres Umweltmanagement hat er zum Legislaturziel erklärt.

Krise und Reputationsschaden auf nationaler Ebene

Unter den Mitteilungen figurierte der Bericht von der ersten Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS am 15. Juni. Roman Baur, einer der zehn Zürcher Abgeordneten, zeichnete die Vorgänge nach und sprach von einer Vertrauenskrise. Nun gelte es, vorwärts zu blicken und «das Wiedergewinnen einer von Vertrauen geprägten Normalität in den Vordergrund zu stellen».

In einer persönlichen Erklärung zeigte sich Adrian Honegger befremdet über die Abrechnung von Kirchenratspräsident Michel Müller mit dem gestürzten EKS-Präsidenten Gottfried Locher im Boulevardmedium Blick. Eine solche Tonalität sei Müllers Amt nicht angemessen. Locher, so Honegger, «wurde vorverurteilt und ist nun weg». Der Synodale fragte, ob so viel Geschirr zerschlagen werden musste. Der Reputationsschaden laste nun auf der ganzen reformierten Kirche.

Konzerne zur Verantwortung ziehen!

Matthias Dübendorfer trug die Fraktionserklärung der Religiös-Sozialen zur Konzernverantwortungsinitiative vor. Sie fordert den Kirchenrat auf, dem Komitee «Kirche für Konzernverantwortung» beizutreten. Denn die Eidgenössischen Räte hätten einen zahnlosen Alibi-Gegenvorschlag beschlossen. Nun habe der Kirchenrat eindeutig Stellung zu beziehen. «Als Teil einer Kirche, die nicht an einer Kantons- oder Landesgrenze endet, müsste uns Christinnen und Christen ganz besonders bewusst sein, dass uns in einer globalisierten Welt das Leiden, das in der Schweiz ansässige Konzerne verursachen, nicht gleichgültig sein kann.»

Wo Christen hart bedrängt werden

Yvonne Wildbolz setzte einen weiteren internationalen Akzent, indem sie über die laufende Christenverfolgung in Indien, die Bedrängnis der Minderheiten in Pakistan und mörderische Überfälle von islamischen Fulani-Milizen in Nigeria berichtete.

Kirchenrätin Margrit Hugentobler teilte mit, dass nach den Sommerferien eine neue zweijährige berufsbegleitende Ausbildung für Katechetinnen startet (sechzehn Frauen und zwei Männer).

Die Kirchensynode genehmigte zwei Änderungen in ihrer Geschäftsordnung: Jede Fraktion soll für ihre EKS-Abgeordneten einen Ersatz bestimmen. Zudem sind künftig bei umstrittenen Kirchenratswahlen nach den Wahlgängen mindestens alle Kandidaten zu nennen, die zehn oder mehr Stimmen erhielten.

Als Ersatz für Margrit Hugentobler wurde Beat Schweizer als Synodaler aufgenommen; an Stelle der Pfarrerin Christine Diezi wählten die Synodalen den Stadtzürcher Kirchenmusiker Andreas Wildi in die Geschäftsprüfungskommission.

Jahresbericht und Jahresrechnung

Die Geschäfte der Kirchensynode

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