Will die Zürcher Kirche neue Gemeinschaftsformen?

26. Juli 2022 – Wie fördert die Zürcher Landeskirche neue Formen kirchlichen Lebens und lässt sie gedeihen? Die Frage beschäftigte die Kirchensynode am 28. Juni bei der Teilrevision der Kirchenordnung und der kirchenrätlichen Antwort auf das Postulat «Neue Formen von Kirchgemeinschaften».

Der Kirchenrat hat nach drei Jahren die Antwort auf das Postulat von Bernhard Neyer «Neue Formen von Kirchgemeinschaften» vorgelegt. Damit ist das Verhältnis zu den drei alteingesessenen, ortsungebundenen reformierten Gemeinschaften französischer, italienischer und spanischer Sprache angepeilt.

Aber Neyer wünscht auch zu erfahren, wie der Kirchenrat (aufgrund der Regelungen für die drei) neu entstehende «Themenkirchen, teilautonome Profilgemeinden, Netzwerkkirchen, Nachbarschaftkirchen» in einer «Mixed-Economy» begleiten und fördern will.

Unbefriedigende Antwort
Für die vorberatende Kommission macht Philipp Nussbaumer (Evangelisch-kirchliche Fraktion EKF) gleich klar, dass mit konkreten Vorschlägen für neue Bestimmungen zu den Kirchgemeinschaften nur ein Teil der fünf Fragen beantwortet ist. Der Rest der Antwort stelle nicht zufrieden. Der Kirchenrat habe in seiner Antwort dutzendfach auf ein ausstehendes Innovationskonzept verwiesen.

Was das Innovationskonzept leisten muss: Kommissionssprecher Philipp Nussbaumer.

Dieses müsse «in erster Linie deutlich machen, wie in Zukunft Initiativen für neue Formen von Kirche personell, finanziell, inhaltlich und ideell begleitet und unterstützt werden und wie dabei ein gutes Zusammenspiel von territorialen und nicht-territorialen Initiativen und Strukturen gefördert werden kann».

Daher nehme, so Nussbaumer, die Mehrheit der Kommission die Antwort zur Kenntnis, ohne ihr zuzustimmen. Die Minderheit will sie zurückweisen. Für sie legt Theddy Probst (EKF) dar, dass für Innovation eigentlich nicht viel geregelt werden müsste. Er fragt, ob dem Kirchenrat ernst sei mit «neuen Formen von Kirchesein zusätzlich und ergänzend zu den Kirchgemeinden».

Die zuständige Kirchenrätin Margrit Hugentobler bedauert, dass das Konzept noch nicht vorliegt. Sie äussert zudem, endlich komme es auf initiative Menschen an.

«Projekte vertrocknen»
Bernhard Neyer schliesst sich Probst an. Denn der Weg zu einer Kirchgemeinschaft werde vom Kirchenrat nicht beschrieben. Doch eben da «vertrocknen die Projekte, weil der Mittelfluss fehlt». Neyer betonte, dass heute Menschen Beziehungen «weit über ihre Gemeindegrenze hinaus an unterschiedlichsten Orten» pflegen.

Menschen sind mobil; Beziehungen werden heute weit über Ortsgrenzen hinaus gepflegt: Bernhard Neyer.

Der Landeskirche fehle eine «Willkommenskultur für Neues, Zartes, Verletzliches, damit dieses spriessen, wachsen, gedeihen, sich entwickeln und auch behaupten kann». Es gelte jetzt dafür die Weichen zu stellen.

Freiräume schaffen!
Hans Guldenmann, wie Neyer im Synodalverein, verweist auf Erfahrungen, die in Basel gemacht wurden: Man müsse vor allem Freiräume offenlassen und schaffen.

In der Detailberatung wendet sich Neyer nochmals gegen die zehn Jahre, die eine neue Kirchgemeinschaft bestehen müsste, bevor sie überhaupt um Anerkennung nachsuchen könnte. «Haben wir als Landeskirche irgendeine Form von Wachstumsstrategie? Wir konzentrieren uns auf Niedergang, nicht auf hoffnungsvolle Projekte.» Solche aber gälte es bewusst zu nähren.

Die Synodalen nehmen den Bericht zur Kenntnis, verweigern aber deutlich die Zustimmung und schreiben das Postulat knapp ab (48 Ja, 44 Nein, 12 Enthaltungen), was insofern nahe liegt, als das Innovationskonzept für eine der nächsten Sitzungen zugesagt ist.

Das Informationskonzept kommt: Kirchenrätin Margrit Hugentobler.

Teilrevision der Kirchenordnung
Am Nachmittag wendet sich die Kirchensynode der Teilrevision der Kirchenordnung zu, in welcher diverse Themen behandelt, auch die Artikel zu Kirchgemeinschaften neu formuliert werden. Die vorberatende Kommission hat sie unter Leitung von Ueli Flachsmann (EKF) in 6 Sitzungen vorberaten und mehrere weitere Besprechungen abgehalten, um Hintergründe zu klären.

Zuerst geht es jedoch um die Frage, ob die Landeskirche eine eigene Ombudsstelle einrichten oder jene des Kantons nutzen soll.

Das Ziel ist laut Flachsmann, «dass die kirchliche Ombudsstelle ein niederschwelliges Beratungs- und Vermittlungsangebot bietet, welches allen Behördenmitgliedern, Mitarbeitenden und anderen Angehörigen der Landeskirche offensteht und auch genutzt wird».

Im weiteren wird durch die Teilrevision die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht – wofür eine Änderung genügt. Kirchenrat Bernhard Egg lakonisch: «Wir wechseln von ‹Braut-Bräutigam› zu ‹Ehepaar› – eine rein redaktionelle Geschichte.»

Trauung gleichgeschlechtlicher Paare: keine Diskussion
Der Präsident der Evangelisch-kirchlichen Fraktion Christian Meier bedauert, «dass eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema in unserer Kantonalkirche nicht möglich gewesen» ist. Der Kirchenrat nehme Unverständnis in Kauf. Zur Ehe gebe es tiefgehende Meinungsverschiedenheiten; diese sollten aber die Kirche nicht spalten.

Der Kirchenrat nehme Unverständnis in Kauf, sagt Meier. Zur Ehe gebe es tiefgehende Meinungsverschiedenheiten; diese sollten aber die Kirche nicht spalten.

Was wird aus der Freiheit der Pfarrer?
Allerdings müsse die Gewissensfreiheit von Pfarrpersonen bei der Trauung gewährleistet bleibten, betont Meier: «Kein Pfarrer und keine Pfarrerin können von seiner oder ihrer Kirche gezwungen werden, die Trauung eines gleichgeschlechtlichen Paares zu vollziehen.»

Die vorberatende Kommission hat die bestehende Garantie der Kirchenordnung (Art. 113,3: Ablehnen einer Amtshandlung aus Gewissensnot) in den Trauartikel explizit übernehmen wollen, um sie für diese Situation zu bekräftigen. Dies wird jedoch mit 71 zu 28 Stimmen abgelehnt.

Endlich Kirchgemeinden entlasten! EKF-Präsident Christian Meier.

Keine Zeit mehr zu verlieren
In der Beratung der insgesamt neun Artikel zu Kirchgemeinschaften sind die Mahnungen unüberhörbar. Laut Ivan Walther, Liberale, darf keine Zeit vergeudet werden. Nötig seien «neue Gefässe, die in unsere Zeit passen … Die Parochie haben wir schon lang hinter uns gelassen.»

Synodepräsidentin Simone Schädler.

Laut Benedict von Allmen vom Synodalverein passen die in der Vorlage formulierten Anforderungen für Kirchgemeinschaften nicht für innovative Projekte.

Bernhard Neyer verweist in einem weiteren Votum auf den permanenten Anstieg der Mitgliederaustritte. «Je länger wir warten, desto weniger Ressourcen haben wir zur Verfügung.» Dem Kirchenrat würde der Mut wohl anstehen, ein Zehntel des Budgets für Innovatives vorzusehen. Die Synodalen votieren im Verhältnis 3:1 für die kürzere Frist: Schon nach vier Jahren sollen neue Gemeinschaften die Anerkennung beantragen können. Die Teilrevision wird am 12. Juli weiter beraten, teilt Synodepräsidentin Simone Schädler um fünf Uhr mit.

Der Jahresbericht: ein «Magazin»
In den Tag gestartet sind die Synodalen mit der Behandlung des Jahresberichts des Kirchenrats und der Jahresrechnung. Zum Bericht erklärt Kirchenratspräsident Michel Müller, dieser sei nicht (wie in anderen Kantonalkirchen) als Rechenschaftsablage konzipiert, sondern als «Magazin».

Die 52-seitige üppig bebilderte Publikation enthält Bilder von der «Nacht der Kirchen», Schwerpunktartikel, etwa über die «inspirierende Liaison» von Kirche und Kino, und zahlreiche Streiflichter. (Die Online-Version für die Synode bringt die Angaben über die Tätigkeit des Kirchenrats und die ausführliche Jahresrechnung und Statistiken.) Der Bericht wird nach wenigen Voten ohne Diskussion ohne Gegenstimmen genehmigt.

Das Eigenkapital wächst und wächst …
Zu reden gibt bei der Jahresrechnung das Ergebnis: erneut ein hoher Überschuss, über 7 Millionen Franken. Im zweiten Corona-Jahr hat die Landeskirche deutlich weniger ausgegeben als geplant. Diverse Stellen wurden verzögert oder nicht besetzt. Gerhard Hubmann, Präsident der Finanzkommission, hinterfragt das Eigenkapital, das mit der Zuweisung des Überschusses 69 Millionen erreicht – fast 20 Millionen über dem einst deklarierten Ziel. Angesichts der seit Jahren anhaltenden Überschüsse fordert er ein knapperes Budgetieren, eine «realistischere Projektplanung» und eine Anpassung der Strukturen.

Weniger Steuern von Mitgliedern
Dies ist laut Katharina Kull im Gang. Die Finanzverantwortliche im Kirchenrat nennt Faktoren, die zum hohen Überschuss beigetragen haben.

Strukturelle Anpassung im Gange: Kirchenrätin Katharina Kull.

Allerdings seien die Steuereinnahmen von natürlichen Personen 2021 erstmals gesunken, um 4 Millionen Franken – eine Wende? Die Anlagen rentierten laut Kull mit 6 Prozent gut, bei Verwaltungsgebühren von 152’000 Franken.

Adrian Honegger von der Liberalen Fraktion nennt eine andere Folge der hohen Bankguthaben: 144’000 Franken Negativzinsen! Im Grunde habe die Landeskirche den Kirchgemeinden über Jahre «viel zu viel Geld abverlangt». Für eine öffentlich-rechtlich privilegierte Institution seien auch 50 Millionen Eigenkapital viel.

Was tun?
Christian Meier von der Evangelisch-kirchlichen Fraktion findet die Höhe des Eigenkapitals unhaltbar. «Wir sind kein gewinnbringendes Unternehmen.» Den Kirchgemeinden bringe das Kapital wenig. Meier schlägt vor, ihren Zentralkassenbeitrag für 2023 und auch die Mitgliederzahl für eine Pfarrstelle zu senken. Er regt eine interfraktionelle Kommission an, «damit das Eigenkapital der Kantonalkirche sinnvoll und effizient reduziert werden kann».

Nicht überraschend wendet sich Matthias Reuter dagegen. Der Präsident der Religiös-sozialen Fraktion fordert Investitionen ins Personal, eine Werbekampagne für kirchliche Berufe, bessere Löhne und einen erhöhten Diakoniekredit. Die Landeskirche solle bei Kirchgemeinden Diakonie-Mindestpensen durchsetzen. Den Zentralkassenbeitragssatz zu senken – das bringe wenig, insinuiert Reuter.

Die Limmat in Zürich am frühen Morgen.

Warnsignal
Michel Müller bezeichnet den Überschuss als Warnsignal: Er sei ein Ausdruck des Personalmangels. Die Sozialkosten dürften bei Kurseinbrüchen an der Börse steigen. Der Kirchenrat lasse rechnen, wo man den Hebel ansetzen könne. Pfarrstellen 2024 zu erhalten und dann 2028 hart zu kürzen, sei nicht sinnvoll. 2028 werden schweizweit am meisten Pfarrer das Pensionsalter erreichen. In einzelnen Kantonalkirchen werde über die Hälfte der Pfarrer pensioniert. Nach diesen Kommentaren genehmigt die Synode ohne Gegenstimme die Jahresrechnung und die Einlage von 6’990’297 Franken ins Eigenkapital.

Der Kirchenrat wünscht Abgangsentschädigungen bei Nichtwiederwahl (sechs Monate). In der Revision des Entschädigungsreglements gibt dieser Punkt am meisten zu reden – umso mehr, als er die Entschädigung auch wünscht im Fall eines Rücktritts wegen Krankheit. Dem ersten Vorschlag hat sich das Büro der Synode in langen Verhandlungen angeschlossen, dem zweiten nicht. Dass die für die Vorberatun des Geschäfts eingesetzte Kommission unter grossem Zeitdruck stand, kritisiert Ruth Derrer Balladore. Mit 55 zu 44 Stimmen folgen die Synodalen ihrem Büro.

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