Wie geht die Zürcher Landeskirche auf das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation zu? Die Kirchensynode erörterte am 25. Juni 2013 die Perspektiven, ohne Beschlüsse zu fassen. Der Ruf nach Kirchgemeinden mit Ausstrahlung und der Wunsch nach einer Landeskirche mit gewichtiger öffentlicher Präsenz waren unüberhörbar – doch steht sich die Kirche mit der Betonung von theologischer Freiheit und Pluralität selbst im Weg.

Der Schatz der Kirche ist das Evangelium (nicht ihr eigenes Kirche-Sein, ihr Feiern usw.): Was für die Reformierten in ihrer frühen Geschichte besonders zutraf, mag der Zürcher Kirche im aktuellen Umbruch wieder dämmern. Doch wie lebt die Kirche mit ihrem wahren Schatz? Aus verschütteten Quellen lässt sich kein Wasser schöpfen. „Als Antwort auf den spirituellen Hunger“ sind „neue Ausdrucksformen des Glaubens“ zu finden – so formulierte eine Gruppe. Aber wie soll das überzeugend gelingen, wenn die Kirche in dem, was sie glaubt, nicht einig und damit ihres Glaubens nicht gewiss ist?

Die Synodalen trafen sich am Morgen an fünf Orten und fuhren am Nachmittag mit dem Austausch in Zürich-Neumünster fort. Den Tag beschloss eine Abendmahlsvesper, der ein Apéro folgte. Der Tag begann mit einem Morgengebet (mit dem Busspsalm 32) und einer Bibelarbeit zu Jesus, der den Sturm stillt. Die vorbereitende Komission gab den Synodalen Denkanstösse mit und lud sie ein, in Achtergruppen Merksätze unter den Titeln „Reformation bewegt in der Stille – bewegt mit dem Evangelium – denkt weiter“ zu formulieren. Die Merksätze wurden am Nachmittag zusammengetragen und durch Abstimmung mit grünen oder roten Zetteln verstärkt bzw. relativiert.

Wie überzeugen ohne gemeinsames Bekennen?

Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2019 wird die Zürcher Landeskirche mit den Entscheiden von 1868 konfrontiert: Damals entging sie unter dem Druck liberaler Bibelkritik einer Spaltung nur um den Preis der Aufgabe des Bekenntnisses zum dreieinigen Gott, zur Jungfrauengeburt Jesu, zur Auferstehung und zum Jüngsten Gericht. Aus der Bekenntnisfreiheit – schon damals eine eigenwillige, unökumenische Notregelung – ist weithin Bekenntnislosigkeit geworden, wie Kirchenratspräsident Ruedi Reich 2009 selbst einräumte.

Wie kann da „aus Tradition die Gemeinschaft im Glauben relevant, authentisch, bewegt, persönlich und mutig“ gelebt werden? Eine Gruppe gestand nüchtern: „Wir hätten ein erkennbares Profil, erreichen mit unserer Beliebigkeit aber nur wenige Milieus.“ Eine andere: „Wir leiden am Unvermögen, die jüngere Generation zu erreichen.“ Und lakonisch: „Aussen stürmt’s, innen herrscht Flaute.“

Fromme Wünsche

„Jeder Christ soll unbefangen erzählen können, warum er Christ ist.“ Und, nach Augustinus: „In dir muss brennen, was du in andern entzünden willst.“ Mit solchen Anstössen der Kommission formulierten die Synodalen beachtliche Merksätze wie den, dass „im Zentrum des Kirche-Werdens das Vertrauen in Jesus Christus lebt, geschenkt durch den Heiligen Geist“. Eine Gruppe will „die biblische Tradition verstärken, der Bibel mehr Raum geben und die Strukturen verschlanken“. Die Kirche soll in der Gesellschaft wahrgenommen werden, indem sie „Hoffnung ausstrahlt, Glaube erfahrbar macht (und) Liebe lebt“.

Die Freiheit der Pfarrer

In Spannung zum Wunsch nach einer begeisterten und für Aussenstehende relevanten Kirche steht die Wertschätzung der Freiheit des Einzelnen im Glauben und Handeln. Von ihm ist die Zürcher Kirche seit Generationen geprägt, ihm geben auch diverse Merksätze Ausdruck. Die Freiheit der Verkündigung (der Pfarrer ist nur an sein Ordinationsgelübde gebunden) wird beansprucht – und nicht in Bezug gesetzt zur extrem tiefen Besucherzahl in manchen Gottesdiensten. Hier will man auf den Heiligen Geist vertrauen – und anderseits am „theologisch freien Denken und Reden“ festhalten. Da will man „gemeinsam und in Freiheit, selber denkend, um die Auslegung und Umsetzung des Evangeliums“ ringen. Und betont dabei, dass „jeder seinen eigenen Zugang zu Gott hat“!

Aufbruch nicht bürokratisch behindern

Was bedeutet das für die Kirche? Sie soll Freiraum schaffen, Glauben auszuleben, und allen Heimat bieten. Anderseits wird gehofft, dass „die Kirche Gemeinsamkeiten lebt und klare christliche Werte vermittelt“, auch Alternativen zum gesellschaftlich Gängigen entwickelt. Spürbar ist in den Merksätzen das Verlangen nach einem nicht bürokratisch behinderten Aufbruch: „Lebendige Kirche braucht ein Minimum an Verwaltung und ein Maximum an Begeisterung, Engagement und Gestaltungsspielraum. Dies gilt für alle Beteiligten.“

Eine Gruppe formulierte den Wunsch, „viele Orte und vielfältige Formen (zu) schaffen, in denen die Kraft des Evangeliums erlebbar wird“. Abzuwarten ist, ob die reformatorische Ausgangsfrage nach dem gnädigen Gott in zeitgemässer Form nochmals zum Tragen kommt. Werden die Zürcher Reformierten, die Gottes Liebe für alle Menschen predigen, darauf zurückkommen, dass sie Gott nicht genügen und einen Mittler und Retter brauchen, um mit ihm versöhnt zu werden?

 

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