Was gibt das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation den Reformierten zu feiern? Und wie hilft die Kirche geplagten und existentiell fragenden Menschen an der Schwelle des Todes? Diese zwei Fragen gaben an der Zürcher Kirchensynode am 25. März 2014 am meisten zu reden.

Die Kirchen der Reformation stehen vor dem Jubiläum ihrer Gründung, das postmodern gefühlt mehr als ein halbes Jahrtausend zurückliegt. Zu reden gab im Zürcher Rathaus der Schlussbericht der Kommission, welche die Kirchensynode eingesetzt hatte, um mit dem Kirchenrat das Reformationsjubiläum 2019 anzudenken. Der Sprecher Matthias Rüsch konstatierte, der Kirchenrat habe die Kommission auflaufen lassen, als sie mit seinem Beauftragten für das Reformationsjubiläum das Gespräch suchte. „Wir müssen miteinander eine Sprache finden“, der kleinste gemeinsame Nenner genüge nicht. Rüsch betonte, der Reformation soll kein Denkmal gebaut, Reformation solle gelebt werden.

In den Erklärungen dreier Synodefraktionen kam indirekt das distanzierte, gebrochene Verhältnis zu den Anfängen der reformierten Kirche im 16. Jahrhundert zum Ausdruck. Thomas Grossenbacher, Sprecher der liberalen Fraktion, zitierte Paul Tillich (gest. 1965): „Gott ist das, was uns unbedingt angeht.“ Matthias Reuter von den Religiössozialen befand, für die Vorbereitung der Feierlichkeiten könne eine Resonanzgruppe dem Kirchenrat von Nutzen sein. Wilma Willi vom Synodalverein sagte, die Zürcher Kirche sei eines von vielen Zahnrädern in einem weltweiten Ereignis. Es gelte den Kirchenrat zu unterstützen. Er solle Ideen entwickeln und präsentieren, die Synode ihn neugierig begleiten.

Die Identität der Kirche klären

Von diesen Bemerkungen zu Interna hob sich die programmatische Erklärung Willi Honeggers ab, der für die Evangelisch-kirchliche Fraktion sprach: „Uns interessiert brennend, was die damalige Reformation für die Kirche unserer Tage bedeutet.“ Daraus könnten Impulse der Erneuerung erwachsen. „Reformation, d.h. Erneuerung im wahrhaften Sinn, kann weder inszeniert noch herbeigeredet werden. Die Kirche darf sich von der Erneuerung beschenken lassen.“

Honegger zitierte einen Antrag der Kommission: „Das reformierte Kirchenmitglied hat Klarheit darüber, für was seine Kirche eintritt und was ihre grundlegende Motivation darstellt.“ Dies sei nicht einfach, denn die Zürcher Reformierten hätten seit der Aufgabe des Bekenntnisses vor bald 150 Jahren (1868) „tunlichst unterlassen“ zu klären, was die Kirche ausmache, um ihr Auseinanderbrechen zu vermeiden. Der aktuelle Zustand gleiche einem theologischen Basar, wo Rezepte zur Klärung angeboten würden, während die Kirche auf der Suche nach ihrer Seele sei. „Unserer Generation stellt sich die Aufgabe, ihn zu überwinden, um als Kirche im Umfeld des Säkularismus bestehen zu können.“

Gesellschaft durch die Bibel revolutioniert

Vor allem, so Honegger, muss die Zürcher Kirche ihr Verhältnis zur Bibel klären. „Unsere Kirche kann ihre Identität und ihren Auftrag nur in der Neu-Entdeckung und in der Neu-Aneignung der Heiligen Schrift finden.“ Dadurch sei vor 500 Jahren die Reformation zu einer Revolution geworden: „Die Reformatoren legten die Bibel frei von dem sie überwuchernden Dickicht menschlicher Interessen und zeitgeist-bedingter Verzerrung.“ Heute sei das Dickicht über der Bibel anders beschaffen, doch die Verheissung bleibe dieselbe: „Das Wort der Heiligen Schrift schafft sich selber seine Hörer – innerhalb oder wenn es sein muss auch ausserhalb unserer Kirche! Und das Hören auf das Wort der Schrift formt, erneuert und bevollmächtigt die Kirche.“

Die Kirchensynode überwies eine Motion an den Kirchenrat. Danach hat das Jubiläum der Erneuerung der Kirche und der Stärkung des Glaubens zu dienen. „Es wird ersichtlich, was reformierte Kirche heute bedeutet.“ Ziel des Jubiläums müsse sein, dem reformierten Kirchenmitglied klarzumachen, „für was seine Kirche eintritt und was ihre grundlegende Motivation darstellt“. Zudem wurde ein Postulat überwiesen, das den Kirchenrat ersucht, die Ausstrahlung der Kirche in der Öffentlichkeit zu überprüfen und eine bessere Medienpräsenz anzustreben.

Lebensqualität bis zum Tod

Anders als am Ende des Mittelalters ist die Gesellschaft heute diesseitig-säkular gestimmt. Und der Wunsch nimmt zu, das selbstbestimmte Leben auch selbstbestimmt zu beenden. Der Kirchensynode lag ein Bericht zur Mitwirkung in der Palliative Care vor. Die von Bund und Kantonen erarbeiteten Leitlinien halten fest, dass zur ganzheitlichen Betreuung des Menschen auch „spirituelle Begleitung“ gehört. Begleitet werden sollen Menschen – wenn sie es wünschen – „in ihren existenziellen, spirituellen und religiösen Bedürfnissen auf der Suche nach Lebenssinn, Lebensdeutung und Lebensvergewisserung sowie bei der Krisenbewältigung“.

Die Aargauer Landeskirche hat vor Jahren pionierhaft die kirchliche Beteiligung an der Palliative Care aufgebaut. Nun hat der Zürcher Kirchenrat in der Antwort auf ein Postulat 17 Massnahmen vorgeschlagen. Kirchenrätin Irene Gysel sagte in der Kirchensynode, die Palliative Care sei dem Kirchenrat ausserordentlich wichtig, der Aufbau stehe jedoch am Anfang. Palliative Care ermögliche in einer Zeit, da die Medizin ein zusätzliches Lebensalter gewähre, einen weniger schmerzhaften, bewussten Sterbeprozess – Lebensqualität bis zum Tod.

Die Kirchen hätten die Fachleute für die spirituelle Betreuung der Schwerkranken, betonte Gysel. Wie „Spiritual Care“ und Seelsorge zueinander stehen, bleibe allerdings noch offen – und müsse auch interreligiös, gegenüber den Muslimen, beantwortet werden. „Die Frage, wie es nach dem Tod weitergeht: viele Menschen stellen sie nicht, aber vielen liegt sie schwer auf dem Herzen“, sagte Irene Gysel. „Diese Frage können auch wir nicht beantworten. Aber wir können die Gewissheit weitergeben, dass wir auch nach dem Tod in Gottes Hand sind.“

Von der Auferstehung reden

Roman Baur, Sprecher der vorberatenden Kommission, bemerkte, dass die Kirchen in der Palliative Care keine definierte Funktion haben. Lücken bestehen namentlich im ambulanten Bereich. Es sei daher vordringlich, Freiwilligennetze in Regionen aufzubauen. Die Kirche solle von Erfahrungen in anderen Kantonen profitieren. In der Diskussion kritisierte Yvonne Wildbolz die Bestrebungen der Sterbeorganisation Exit, den Bilanzsuizid (Suizid ohne todbringende Krankheit) in der Öffentlichkeit akzeptabel zu machen. Dadurch werde „würdiges Sterben neu definiert und Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit als beschämend deklariert“. Als gewaltige Kraft Gottes bezeichnete Wildbolz die Worte Jesu: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt“ (Johannes 11,25).

Nur miteinander zu leisten

Die Diskussion kreiste um die Verantwortung auf dem palliativen Feld; sie zeigte einmal mehr die Pfarrerzentrierung der Zürcher Landeskirche. Michael Wiesmann mahnte daher, die Sozialdiakone nicht zu vergessen. Roman Baur betonte, das Zusammenspiel von Geistlichen und von Freiwilligen sei zwingend. Laut Willi Honegger sind nicht nur Freiwillige, sondern auch Profis angesichts des Todes überfordert. Die Synodalen genehmigten den Bericht des Kirchenrates einstimmig; so kann er im Bereich Palliative Care in den nächsten fünf Jahren einen Schwerpunkt setzen.

Was macht attraktive Gemeinden aus?

In einem Postulat wünschte Viktor Juzi vom Kirchenrat eine „Analyse über aktive und attraktive Gemeinden“. Es gelte, Bewährtes herauszuschälen und Mutmachendes allen Kirchgemeinden zur Verfügung zu stellen. Der Kirchenrat wollte das Postulat nicht entgegennehmen. Kirchenrat Andrea Bianca sagte, er teile zwar den Traum von attraktiven Gemeinden und die Sehnsucht danach, doch sei eine Studie schwierig und kostspielig. Zudem fehlten die Kriterien: Was einer Kirchgemeinde helfe, könne sich anderswo ungünstig auswirken. Der Kirchenrat wolle nicht Gemeinden einstufen und die attraktiveren bezeichnen.

Bianca zitierte aus einer neuen Broschüre „Lebendige Kirche“ der Kirchgemeinde Bäretswil. Im Rahmen der Strukturreform „KirchGemeindePlus“ biete sich die Gelegenheit, Modellhaftes zu präsentieren. Herbert Pachmann fand Biancas Antwort mutlos. Das Postulat sei dringlich, denn an der Basis mangle die Orientierung. „Die Frage treibt alle Kirchgemeinden um.“ Man könne auf bestehende Erhebungen zurückgreifen. Die Synode lehnte es jedoch mit 22:68 Stimmen ab, den Kirchenrat mit der Studie zu beauftragen.

Fusion – aber wie?

Nichts beschäftigt die Reformierten zwischen Stammheim und Schlieren, Wald und Weiach derzeit mehr als das Projekt KirchGemeindePlus, mit dem der Kirchenrat grössere Kirchgemeinden anpeilt. Eine von Karl Stengel initiierte Interpellation wurde von 66 (!) Synodalen unterzeichnet. Eine Frage lautet: „Wieweit kann und soll inskünftig das bisherige Schwergewicht (Änderung der Strukturen) bewusst durch inhaltliche Grundlagenarbeit ergänzt werden, wie dies z.B. das Pfarrkapitel Hinwil getan hat?“ Mit der Interpellation ist für den Spätsommer eine Debatte über den Weg zu Gemeindefusionen programmiert.

Ohne Gegenstimme billigte die Kirchensynode die Vereinigung der beiden Tösstaler Kirchgemeinden Bauma und Sternenberg. Sie ist laut GPK-Präsident Hanspeter Murbach das „logische Ende“ eines neunjährigen Prozesses. Doch bleibe die Gemeinde mit 2300 Mitgliedern klar unter der Orientierungsgrösse des Kirchenrats (5000+). Die bisherigen Pfarrstellen werden bis 2020 garantiert. Kirchenratspräsident Michel Müller lobte die Tösstaler (deren politische Gemeinden auch fusionieren) für ihr zeitiges Handeln; in den meisten Orten des Kantons werde weniger Zeit zur Verfügung stehen.

Zuwanderer willkommen heissen

Gemäss einer neuen Studie der Zürcher Fachstelle für Integrationsfragen sind in zehn Jahren 150‘000 Menschen in den Kanton gezogen. In der Antwort auf eine Frage aus der Synode zitierte Kirchenratsschreiber Alfred Frühauf die Feststellung der Studie, viele Migranten würden sich gern freiwillig engagieren: „Hier liegt ein Potenzial brach, das zu wenig ausgeschöpft wird.“ Die Kirchgemeinden hätten sich zu fragen, ob sie auf Zuzüger einladend wirkten. Lutheraner sollten bei der Anmeldung als Konfessionszugehörigkeit evangelisch-reformiert eintragen. Diesem Zweck dient auch ein Merkblatt, das in den Einwohnerämtern der Gemeinden aufliegen sollte.

Laufende Geschäfte der Kirchensynode 

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