Die Evangelisch-Kirchliche Vereinigung in der Schweiz EKVS war während Generationen ein Leuchtturm für biblisch verwurzeltes Christsein und das Bekenntnis der Kirche. Die Präsidentin Pfrn. Susanna Schuppli-Kägi zeichnete in einem Vortrag am 11. November in Zürich den Weg der EKVS nach.

Gegründet wurde die Evangelisch-Kirchliche Vereinigung in der Schweiz im Jahr 1871. In ihr verbanden sich Pietisten, «beherzte Theologen» und Nicht-Theologen, aus den Kantonen Zürich, Bern, Neuenburg und Basel. Führend waren die Basler, mit Ratsherr Adolf Christ als Präsident. Im programmatischen Rundschreiben der EKVS gegen den radikalen theologischen Freisinn, die Bewegung der sogenannten «Reformer», ist zu lesen:

«Der Kampf gegen den Glauben an das Evangelium ist wie in der übrigen Welt in unserem Vaterland entbrannt. Auf das uralte Bekenntnis, das Apostolikum, wird Sturm gelaufen. Die Liturgie und der Katechismus sollen beseitigt, die biblischen Geschichten durch ein neumodisches Lehrbuch ersetzt werden. Kirche und Schule werden entchristlicht. Damit wird der Niedergang unseres Volkes herbeigeführt.»

Gegen die Entchristlichung der Kirche
Die Lage in den reformierten Kantonen präsentierte sich unterschiedlich. In den meisten bildeten sich Sektionen der EKVS. In Zürich trat die Evangelische Gesellschaft des Kantons der Vereinigung 1874 bei (1991 trat sie aus). Gemeinsam stellte man sich gegen die von radikalen Kantonsregierungen geförderten Bestrebungen, die reformierte Kirche «ihres Bekenntnisses … zu entkleiden» – ohne Erfolg.

Die EKVS beliess es aber nicht bei der Kritik an den «Reformern». Sie setzte laut Susanna Schuppli positive Zeichen. So unterstützte sie das Evangelische Lehrerseminar Unterstrass, das die Evangelische Gesellschaft in Zürich 1869 als Alternative zum liberalen, von Thomas Scherr geprägten Küsnachter Lehrerseminar gegründet hatte.

Minoritätsgemeinden
Die EKVS-Sektionen setzten sich auch dafür ein, dass Kirchgemeinden bibelorientierte Pfarrer erhielten. Wenn ein Freigeist auf die Kanzel kam, organisierten sie Minoritätsgemeinden, etwa in Aarau, Emmishofen bei Kreuzlingen, Luzern, Winterthur, Uster, Wetzikon, Stäfa, Wädenswil, Horgen und in Zürich (Unterstrass, Aussersihl und St. Anna).

Die Zeitschrift der EKVS, schon 1867 in Basel ins Leben gerufen, war Der Kirchenfreund. Laut Schuppli wurde im September jenes Jahres in Genf ein sogenannter Friedenskongress mit 5‘000 Teilnehmern durchgeführt. Als Ehrenpräsident wurde Giuseppe Garibaldi zum zweiten Christus emporgejubelt, der den Papst vernichten werde. Der Italiener sagte: «Die Vernunft muss die bestehenden Religionen vernichten.» Einem Genfer Pfarrer, der Jesus als Friedefürsten bezeugen wollte, wurde das Reden – im Namen des Friedens – verwehrt.

Zeitschrift mit Kante
Der Kirchenfreund kommentierte zweimal monatlich kirchliche und gesellschaftliche Ereignisse im In- und Ausland. Susanna Schuppli deutete an, welche Schätze das EKVS-Archiv mit den 84 Jahrgängen der Zeitschrift – Spiegel des Ringens um ein biblisch verankertes Christentum in der Schweiz – enthält. Der Kirchenfreund erschien bis 1951.

In der letzten Ausgabe konstatierte Pfr. Peter Vogelsanger, seit 1943 im EKVS-Vorstand, den fortgesetzten Rückzug der Reformierten «aus dem Raum der modernen Kultur in den Raum der Innerlichkeit und der Enge». Die individualistische Frömmigkeit wurde kritisiert und die Frage gestellt: «Rafft sich der Protestantismus aus dem Geist des Kleinglaubens und der inneren Zersplitterung auf?» Der Kirchenfreund, so Vogelsanger, könne dies nicht leisten.

«Geist des Kleinglaubens»
Eine neue Zeitschrift wurde konzipiert: Reformatio sollte intellektuell mitwirken für die «christliche Begründung und Gestaltung unseres kulturellen und öffentlichen Lebens». Die ursprüngliche Stossrichtung der EKVS verschwand unter der Schriftleitung des Fraumünster-Pfarrers Vogelsanger (bis 1964), wohl zum Leidwesen seines Amtskollegen an der Hottinger Kreuzkirche, Pfr. Albert Lindenmeyer (gest. 1969). Dass sich der Zweck der Vereinigung verflüchtigte, ist gemäss Schuppli auch dem Einfluss der dialektischen Theologie, welche Fronten verschwimmen liess, und namentlich Karl Barths zuzuschreiben.

Vom Kirchenfreund zu Reformatio
«Hervorragende Aufsätze von hervorragenden Leuten» habe man in Reformatio lesen können, bemerkte die EKVS-Vorsitzende in ihrem Vortrag. Zu den Autoren gehörten Kurt Marti, Klaus Bäumlin und Marga Bührig. (Im letzten Heft 1983 erschien ein Aufsatz zum neuen Eherecht von Christoph Blocher.) «So wurde aus dem eindeutigen Kirchenfreund ein kunterbuntes Allerwelts-Blättli.»

Allerdings fanden Tagungen der EKVS immer noch grossen Zuspruch. 1957 hörten in Zürich 600 Akademiker Vorträge zur «Bedrohung des Menschen heute». 1959 folgte eine Friedenskonferenz, 1966 eine dritte Akademikertagung über Glaube und Naturwissenschaft.

Klaus Bäumlin übernahm 1971 die Schriftleitung von Reformatio. Im EKVS-Vorstand, dem er fortan angehörte, sassen noch EKVS-ler der alten Garde. Es kam vermehrt zu Auseinandersetzungen. Am 27. August 1983 wurde der Verein Reformatio gegründet. Zwei Tage später beschloss der EKVS-Vorstand, die Zeitschrift dem Verein zu übergeben.

Auf dem Rückzug
Fortan äusserte sich die EKVS im Organ Der Protestant. Allerdings nur drei Jahre; dann ging diese Publikation in der Wochenzeitung Reformiertes Forum auf. Laut Susanna Schuppli wurde es in der Folge immer stiller um die EKVS. Sie äusserte sich nicht mehr zu «Problemen in Kirche und Gesellschaft», wie es in den EKVS-Statuten steht; man habe sich irgendwie von der Öffentlichkeit verabschiedet.

Susanna Schuppli flocht im Vortrag auch Stationen ihres eigenen Weges ein. Nach einem fruchtbaren Studienanfang in Hamburg hätten sie die «alten Ladenhüter der Reformer» in Zürich gelangweilt. Auf dem Boden der Realität sei sie nur geblieben, weil sie nebenbei arbeitete. Sie habe das Studium, eine «Jugendtorheit», selbst verdienen müssen. Viel habe sie empfangen in den Vorlesungen von Jan Milic Lochman in Basel, sagte Schuppli.

Die EKVS hat Schuppli seit Juli 2009 präsidiert. An der Mitgliederversammlung am 11. November wurde beschlossen, den Verein Ende 2018 nach 147jährigem Bestehen aufzulösen.

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