Der Kirchenrat darf mehr Geld in eigener Kompetenz ausgeben, die Kirchgemeinden haben Vielfalt zu fördern, Kirchgemeindeschreiber können der Kirchenpflege Anträge stellen: Neben diesen Neuerungen in der Kirchenordnung diskutierte die Kirchensynode am 8. Mai, was Demokratie für die Wahl des künftigen Kirchgemeindeparlaments und der Kirchenpflege in der Stadt Zürich bedeutet.

Nach der diskussionslosen Genehmigung der Fusioacn der Kirchgemeinden Turbenthal und Wila beriet die reformierte Legislative unter Leitung von Simone Schädler die Teilrevision der Kirchenordnung weiter.

Soll die Funktion des Kirchgemeindeschreibers in der Kirchenordnung erwähnt und beschrieben werden? Der Kirchenrat beantragte einen neuen Artikel 137a, indem (anders als im Entwurf vom Frühjahr 2017) keine «Führungsaufgaben» genannt sind. Kirchgemeindeschreiber/innen sollen Kirchenpflege, Pfarramt und Dienste in der Aufgabenerfüllung unterstützen und Aufgaben wahrnehmen, die ihnen die Kirchenpflege überträgt.

Wer braucht einen Kirchgemeindeschreiber?
Die Minderheit der vorberatenden Kommission sah die ganze Bestimmung als unnötig an. «Wir wollen den Raum offen halten für angepasste Regelungen in den Kirchgemeinden», sagte Carola Heller. Cornelia Paravicini äusserte ihr Befremden darüber, dass ein Kirchgemeindeschreiber Kommissionen und Teams einsetzen und ihnen Aufträge erteilen kann (so der Kirchenrat in der Erläuterung zum Artikel). Er sei, betonte Paravicini, nicht Personalchef wie der Gemeindeschreiber einer politischen Gemeinde.

Arend Hoyer befand, hier werde eine Stellung aufgebaut, «die dann nicht anders besetzt werden kann». (Über Kostenfolgen wurde kein Wort verloren.) Hanspeter Murbach hielt dagegen fest, keine Kirchgemeinde werde gezwungen, Schreiber anzustellen. Der neue Artikel fand eine klare Mehrheit (73:26 bei 4 Enthaltungen).

Vielfalt!
Statt kircliche Minderheiten zu achten, haben Kirchgemeinden künftig Vielfalt, konkret «unterschiedliche Formen des kirchlichen Lebens» zu fördern (Art. 155). Ein Antrag, die alte Bestimmung mit der neuen zu verbinden, wurde abgelehnt. Die Kommission forderte, an dieser Stelle (im Abschnitt der Kirchenordnung über die Gemeinden!) auch die Landeskirche in die Pflicht zu nehmen. Der Kirchenrat schwenkte darauf ein: «Die Landeskirche und die Kirchgemeinden … unterstützen entsprechende Initiativen von Mitgliedern» und stellen dafür Mittel zur Verfügung.

Nach welchen Kriterien dies geschehen solle, fragte Karl Stengel – und erhielt vom Kirchenrat keine Antwort. Auf Antrag von Marco Würgler wurde beschlossen, neben den Mitgliedern als mögliche Akteure auch «Werke und Gemeinschaften, die mit der Landeskirche in Verbindung stehen», zu nennen.

Lebenswelten!
Durch die Sinus-Studie für Milieus sensibilisiert, will der Kirchenrat die Kirchgemeinden bei der Förderung der Vielfalt verpflichten, «insbesondere auf lebensweltliche Gesichtspunkte» zu achten und sie einzubeziehen. Sehr viele Mitglieder der Kirche befänden sich in «anderen Lebenswelten» als denen mit kirchlicher Präsenz, meinte Kirchenrat Andrea Bianca. Der Absatz wurde gegen den Antrag der Liberalen Fraktion knapp bestätigt – im Gegensatz zur Folgebestimmung, die dem Kirchenrat Richtlinien dazu erlaubt hätte.

Wie wird das Zürcher Kirchenparlament gewählt?
Der Bedarf an neuen Regelungen für die entstehende Riesen-Kirchgemeinde Stadt Zürich – acht umfangreiche Artikel allein fürs Kirchgemeindeparlament – überschattet die gesamte Teilrevision. Lange zu reden gab der von der vorberatenden Kommission unterstützte Stadtzürcher Wunsch, für die Wahl des Parlaments mehrere Wahlkreise zu bilden (Art. 158c). Der Kirchenrat wollte dies ausschliessen. (Die Pfarrwahl hatte der Kantonsrat auf sein Betreiben hin bereits so geregelt: dass die Pfarrer in einem Wahlkreis zu wählen sind.)

Würden Wahlkreise eine breiter abgestützte Vertretung der 80’000 Mitglieder im Parlament ermöglichen und die Kenntnis der Kandidierenden erleichtern? Die Kirchgemeinde könne für den Prozess nicht auf Parteien zurückgreifen, sagte Kommissionspräsident Hannes Aeppli. Die Stadtzürcher Synodalen äusserten sich pro und contra. Deutlich wurde dabei, dass für die vorgesehenen 40-45 Sitze nicht die geplanten zehn Kirchenkreise als Wahlkreise dienen können (eher die Kantonsrats- und Synode-Wahlkreise).

«Das beste Mittel gegen Zentralisierung»
Annelies Hegnauer und andere beanspruchten die Gemeindeautonomie. Andrea Widmer Graf fragte: «Wie kann die demokratische Wahl und die demokratische Zusammensetzung dieses Gemeindeparlaments gewährleistet werden?» Henrich Kisker plädierte dafür, die Unterstrukturen nicht geografisch zu fixieren, «damit wir die thematische Offenheit bewahren». Corinne Duc fand, verschiedene Wahlkreise seien das beste Mittel gegen Zentralisierung. Thomas Grossenbacher bat hingegen, keine Struktur zu schaffen, «die uns erstickt». Dem Divide et impera (Teile und herrsche) sei zu wehren. Die Stadtgemeinde brauche «Durchlässigkeit».

Der Winterthurer Stefan Rutishauser äusserte, Wahlkreise in Zürich könnten bei den Reformierten seiner Stadt die Hemmschwellen für eine grössere Fusion abbauen. Für den Kirchenrat sprach Daniel Reuter. Er hielt wahltechnische und grundsätzliche Erwägungen auseinander: Zwar wären die Wahlen in Kreisen einfacher durchzuführen. Doch mit dem Grossprojekt hätten die Stadtzürcher Ja gesagt zu einer einzigen Gemeinde, zur Auflösung territorialer Grenzen. An ihrer Stelle sollten «lebensweltliche Strukturen zum Zug kommen». Mit 64 zu 35 Stimmen folgten die Synodalen endlich der Kommission: Die Reformierten der Stadt können ihr Parlament in Kreisen wählen.

Kirchenvolk nicht bevormunden
Der Beschluss zur Stadtkirchgemeinde Zürich sprengt alles Gewohnte und stellt die fürs reformierte Gemeindeverständnis grundlegende Basisnähe in Frage. Dies zeigte sich im Antrag der Kommission zu Art. 161, den Stadtzürchern sei zu erlauben, die Kirchenpflege vom Parlament wählen zu lassen. Der Kirchenrat hielt dagegen an der Volkswahl fest – so würden auch die Pfarrer gewählt. Daniel Reuter betonte, von Bevormundung der Stadtkirche könne keine Rede sein.

Erneut dominierten die Stadtzürcher die Rednerliste. Die Volkswahl wirke mobilisierend, der Wahlkampf sei zu begrüssen, sagte Dominic Schelling. Hanspeter Murbach monierte, nur das Parlament könne die Auswahl der sieben Kirchenpfleger/innen mit der erforderlichen Sorgfalt treffen. Er erwähnte die Gefahr von Wahlkampagnen mit intransparenter Finanzierung. «Es lebe der Apparatschik!» kommentierte der Urdorfer Pfarrer Ivan Walther sarkastisch.

Andrea Widmer Graf wollte demokratische Abläufe sichergestellt haben. Wie im Parlament Nominationen erfolgen würden, sei unklar. Die Synodalen beschlossen mit 61 zu 37 Stimmen bei 3 Enthaltungen, dass die Stadtzürcher Kirchenpflege wie alle anderen im Kanton von den Mitgliedern direkt gewählt wird.

Neu: Kirchenpflege auch mit Auswärtigen
Im selben Art. 161 schlug der Kirchenrat eine gewichtige Änderung vor: In die Kirchenpflege kann auch gewählt werden, wer ausserhalb der Kirchgemeinde wohnt. Die Argumente von Hanspeter Murbach, der dieser Flexibilisierung opponierte, überzeugten nicht. Dass vielerorts Kandidaten  für die Kirchenpflege mangeln, dürfte dazu beigetragen haben (der Kirchenrat will erheben lassen, wie viele Kirchenpflegen diesmal unvollständig erneuert wurden). Mit dem Zusatz, dass eine Person bloss einer Kirchenpflege angehören kann, billigten die Synodalen die Neuerung mit 78 zu 19 Stimmen bei 4 Enthaltungen.

Neu sollen neben Pfarrern und Diakonen auch die Kirchenmusiker und die Katechetinnen Kapitel bilden (Art. 181). Wie viele dieser Kapitel Sinn machen, ist offen. Die Kirchensynode billigte einen Antrag von Christian Walter für eine offene Formulierung, die Ein- und Mehrzahl ermöglicht. Angesichts der sinkenden Zahl der Gemeinden ermässigte sie die Hürden für Initiative und Referendum in kirchlichen Angelegenheiten (Art. 203, 205).

Sehr deutlich wurde – entgegen dem Antrag des Kirchenrats – beschlossen, dass Bezirkskirchenpfleger/innen, wenn sie für die die Kirchensynode kandidieren, wie bisher nicht zu den Pfarrern und Angestellten der Kirche gezählt werden (diese dürfen nicht die Mehrheit der im Wahlkreis Kandidierenden stellen, Art. 210).

Vervielfachte Ausgabenkompetenzen für den Kirchenrat
Wie viel Geld kann der Kirchenrat in eigener Kompetenz ausgeben? Obwohl die Mitgliederzahl der Landeskirche sinkt und mittelfristig mit schwindenden Steuermitteln zu rechnen ist, beantragte die Exekutive für sich vervielfachte Limiten (Art. 221). Die vorberatende und die Finanz-Kommission mochten das Spiel nicht verderben. Für neue, nicht budgetierte Ausgaben kann der Kirchenrat neu im Einzelfall 100‘000 Franken, bei Personalgeschäften 250‘000 Franken ausgeben. In einem Jahr kann er Ausgaben und Einnahmenausfälle bis zu zwei Millionen Franken beschliessen (gemäss Antrag der Kommission; der Kirchenrat hatte 4’000’000 Franken beantragt; bisher 1’000’000 Franken).

Am letzten Sitzungstag, dem 15. Mai, soll vor der Schlussabstimmung die am 10. April beschlossene Pfarrstellenzuteilung nochmals aufs Tapet kommen.

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