Wie begleitet die Kirche Menschen nach Suiziden?

11. Juli 2019 – Viele tausend Menschen in der Schweiz sind jedes Jahr davon betroffen, dass Nahestehende sich das Leben nehmen. Die Zürcher Landeskirche ziert sich bisher, wenn es gilt, die seelsorgliche Betreuung von Betroffenen durch Spezialisten zu unterstützen. Dies provozierte am 2. Juli in der Kirchensynode Kritik. Die Kommission, die eine Postulats-Antwort des Kirchenrats beriet, reichte gleich selbst einen weiteren Vorstoss ein. Michael Wiesmann, Urheber des ersten Postulats, forderte im nächsten Budget einen Beitrag, damit Hinterbliebene von Suiziden vermehrt unterstützt und begleitet werden.

An jedem zweiten Tag kommt es im Kanton Zürich zu einem Suizid; dazu kommen assistierten Suizide in deutlich grösserer Zahl – Zürich ist bekanntlich durch Organisationen, die teils international Sterbewillige einladen, die Suizid-Hauptstadt Europas.

In einem Postulat fragte Michael Wiesmann, wie die Landeskirche in Suizidprävention und Nachsorge – über die Seelsorge vor Ort hinaus – fachlich und praktisch vernetzt ist und wen sie in dieser Hinsicht unterstützt. Das Postulat folgte auf die Einstellung 2017 der Stadtzürcher reformierten Fachstelle «Kirche und Jugend», deren Leiter Jörg Weisshaupt 2006 auch mit Suizid-Nachsorge betraut worden war. Später gründete er den Verein Trauernetz und Nebelmeer-Selbsthilfegruppen. Nach 2017 wollte die Kantonalkirche (die in ihrer Abteilung Spezialseelsorge insgesamt 115 Personen beschäftigt) diese Bemühungen nicht unterstützen; ein Konzept und ein Gesuch von Weisshaupt wurden abgelehnt.

Die Kirche sollte mehr für Betroffene tun: Dieter Graf.

Mehr begleitete Suizide
Der Kirchenrat erwähnte nun in seiner Antwort die Dargebotene Hand, die Notfall- und Spezialseelsorge sowie die Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Kirchgemeinden, zudem die Vernetzung mit Stellen des Kantons. Vermehrt seien die Angestellten der Kirche mit assistierten Suiziden konfrontiert – was nach «Positionierung, Aufklärung, Schulung und Begleitung rufe». Dennoch fand es der Kirchenrat nicht angezeigt, «für die Begleitung von Betroffenen speziell ausgerichtete Seelsorge- oder Beratungsangebote aufzubauen».

Als Sprecher der Kommission hob Dieter Graf hervor, gewisse Betroffene bräuchten eine «konstante, intensive Begleitung». Hier bestehe ein Bedarf über die aktuell geleistete Seelsorge hinaus. «Die kirchlichen Mitarbeitenden sind auf zusätzliche, qualifizierte Unterstützung und Ansprechpartner mit Erfahrung angewiesen.» Die Kommission brachte ein zweites Postulat ein, damit der Kirchenrat der Suizidnachsorge mehr Beachtung schenkt und etwa mit dem Verein Trauernetz Kontakt aufnimmt.

Kirchenrat Bernhard Egg brachte seine persönliche Betroffenheit angesichts der seelischen Verwundungen und Nöte infolge von Suiziden zum Ausdruck; er nahm das neue Postulat an. Michael Wiesmann betonte seinerseits, die «scheinbare Fülle an Angeboten» mache die Arbeit des Vereins Trauernetz mit Hinterbliebenen bei Suiziden keinesfalls überflüssig. Wenn die Kirche selbst nicht handle oder den Verein unterstütze, nehme sie ihre Verantwortung nicht wahr. Daher, so Wiesmann, hoffe er auf einen entsprechenden Beitrag im Budget 2020; andernfalls werde er Antrag stellen.

Verbreitete Unzufriedenheit: Adrian Honegger legte die Schwächen der kirchenrätlichen Finanzausgleichs-Vorlage offen.

Wie viel Solidarität mit finanzschwachen Gemeinden?
Am Vormittag befasste sich die Kirchensynode mit dem Jahresbericht des Kirchenrats und der Jahresrechnung. Zu reden gab vorab die Verschiebung eines grossen Geschäfts, der Neugestaltung des kirchlichen Finanzausgleichs. Kurzfristig hatte das Büro der Synode das Traktandum abgesetzt; die vorberatende Kommission hatte zuvor  knapp Rückweisung beschlossen.

Ihr Präsident Adrian Honegger nannte den Synodalen die Gründe: Die kirchenrätliche Vorlage sei nicht transparent genug. Der Gesamtbetrag sei nicht festgelegt. Die Kommission strebe mehr Solidarität mit finanzschwachen Kirchgemeinden an. Die komplexe Materie mit zahlreichen Zielkonflikten habe in sechs Sitzungen unter grossem Zeitdruck bearbeitet werden müssen.

Zahlreiche Fragen blieben im Raum stehen, sagte Adrian Honegger und nannte zehn Punkte. Wie werden sparsame Kirchgemeinden belohnt und falsche Anreize vermieden? Und wie wird der ungleiche Aufwand von Kirchgemeinden einerseits für denkmalgeschützte Objekte, anderseits für Seelsorge in Pflegeheimen berücksichtigt? – Das Geschäft wird wieder traktandiert; die Kommission ist dafür neu zu bestellen.

Reformierte aus der Karpato-Ukraine zu Gast auf der Tribüne des Rathauses. Die Synodepräsidentin Simone Schädler begrüsste sie ungarisch.

Bildstarker Jahresbericht – ungewisse Zukunft
Den Jahresbericht schmückte der Kirchenrat mit Bildern des Zwingli-Films, der Anfang 2019 in die Kinos kam. (Die Landeskirche hatte an die Kosten 250‘000 Franken gezahlt.) Bruno Kleeb, Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK), würdigte die geleistete Arbeit. Zu reden gab das Vorwort von Kirchenratspräsident Michel Müller zu den Zukunftsperspektiven der schrumpfenden Kirche («Mehr Wert statt Mehrheit»).

Gesondert ging Bruno Kleeb auf Vorgehen, Abläufe und die enormen Kosten für Interims-Präsidien in den Kirchgemeinden Zürich-Hard und Fällanden ein. Die GPK hatte Einsicht in die Akten verlangt und in der Folge intensive Abklärungen gemacht.

Wie Kleeb ausführte, hatte der Kirchenrat kein Kostendach festgelegt und keine schriftlichen Vereinbarungen zu Umfang und Honorar getroffen. Die massiven Kosten mussten dann von den Kirchgemeinden getragen werden.

Das Verfahren habe sehr lange gedauert, konstatierte Kleeb. Er kritisierte die Doppelrolle des Leiters des landeskirchlichen Rechtsdienstes in diesen Verfahren. – Die Empfehlungen der GPK akzeptiert der Kirchenrat, wie Michel Müller sagte. Der Jahresbericht wurde ohne Gegenstimmen bei zwei Enthaltungen genehmigt.

Positiver Jahresabschluss: Kirchenrätin Katharina Kull.

Hoher Ertragsüberschuss
Die Jahresrechnung 2018 der landeskirchlichen Zentralkasse ergab bei Aufwendungen von 101,9 Mio. Franken einen Ertragsüberschuss von fast 7,6 Mio. Franken. Margrit Hugentobler, Präsidentin der Finanzkommission, erläuterte die Gründe für dieses Rekordergebnis. Zwar sei der Horizont des Eigenkapitals klar überschritten, doch die Kirchgemeinden sollten auch künftig mit demselben Beitragssatz belastet werden…

Kirchenrätin Katharina Kull relativierte die Höhe des Eigenkapitals (nun über 50 Mio. Franken); faktisch könne die Landeskirche damit ihren Verpflichtungen fünfeinhalb Monate lang nachkommen. Markus Bürgin kritisierte die mageren Anlageerträge und regte eine Senkung des Beitragssatzes an, um die Kirchgemeinden zu entlasten. Die Jahresrechnung passierte mit drei Enthaltungen.

Am Nachmittag verabschiedete die Präsidentin Simone Schädler 42 Synodale. Eva Ebel vom Synodalverein würdigte seinen zurücktretenden Kirchenrat Thomas Plaz. Am 1. Oktober wird sich das am 19. Mai gewählte Kirchenparlament neu konstituieren, den Kirchenrat wählen und die Abordnungen bestimmen.

Alle Geschäfte der Kirchensynode auf: www.zhref.ch/kirchensynode

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