Die Zürcher Kirchgemeinden sind gefordert, sich neu zu denken. Die Monate, die der Kirchenrat für Dialogveranstaltungen in den Regionen vorgesehen hatte, nutzte die Bezirkskirchenpflege Hinwil mit drei gehaltvollen Abenden. Da und dort wird über Fusion gesprochen. In der Stadt Zürich fällt der Entscheid an der Urne über die künftige Struktur erst nach der kantonalen Abstimmung über die Kirchensteuer juristischer Personen.

Derzeit finden im Kloster Kappel die Kirchenpflegetagungen zu KirchgemeindePlus statt; im Frühjahr folgen Pfarrkonferenzen. Seitdem der Kirchenrat seine Vorstellungen im Frühjahr 2013 den Gemeindeverantwortlichen vorgelegt hatte, ging die Arbeit am Grossprojekt harzig voran. Die Impulsveranstaltungen, an denen zentrale Fragen basisnah erörtert werden sollten, liessen sich an einer Hand abzählen. Allein im Bezirk Hinwil wurde dank der Bezirkskirchenpflege, die drei Abende organisierte, öffentlichkeitswirksam diskutiert.

Ausdauer zahlt sich aus

Am dritten Abend, am 24. Januar, formulierten drei Kirchenmänner, ein Reformierter, ein katholischer Pastoralamtsleiter und ein Freikirchenpastor Gedanken zur Frage „Kirche(n) wohin?“ und diskutierten anschliessend. Der Thurgauer Kirchenratspräsident Pfr. Wilfried Bührer mahnte, Kirchgemeinden nicht über einen Leisten zu schlagen. Während in einer Gemeinde mit 1000 Mitgliedern sich wenig bewege, finanziere eine andere gleich grosse Gemeinde selbst einen Jugendarbeiter zu 60 Prozent. „Nirgends geht es ohne viel jahrelange Aufbauarbeit, Gebet und glaubwürdige Leute.“

Die Kirche werde wahrgenommen als ein Player unter vielen, sagte Bührer – sie solle spielen und nicht jammern. Jahrzehntelang mit dem Kanton über Staatsbeiträge zu streiten, werde der Kirche nichts bringen. Glaubwürdigkeit komme der Kirche nicht durch Imagekampagnen zu, sondern durch persönliche Begegnungen. „Ich würde gern überall, wo es um die Zukunft der Kirche geht, einfache, schlichte Zeugen fragen.“

Profillos oder ‚Fundi‘

Die Kirche im Prisma (Freie Evangelische Gemeinde FEG) in Rapperswil sucht angesichts der Entkirchlichung und des Individualismus neue Wege zu den Menschen. Der leitende Pastor René Christen sagte in Hinwil, viele Besucher kämen nach einem ersten Mal wieder, weil ihre existentiellen Fragen aufgenommen würden. „Es darf aber nicht zu sehr nach Kirche riechen.“ Die mit dem Evangelium Beauftragten sind laut Christen in einer ganz widersprüchlichen Lage: Wer es mit der Bibel vermitteln wolle, werde als Fundamentalist wahrgenommen; wer es unverbindlich zur Sprache bringe, habe kein Profil.

René Christen skizzierte eine Aufbaustrategie in vier Dimensionen (übernatürliches Wirken des Geistes, positive Motivation der Mitglieder, unternehmerische Zielstrebigkeit, Sensibilität für die Menschen im religiösen Pluralismus). Entscheidend sei, verständlich vom Glauben zu reden und die Arbeit in allen vier Dimensionen voranzutreiben. Die Kirche im Prisma arbeitet stark in Parallelstrukturen (z.B. Teenie Church) und erreicht Kirchenferne, indem sie ihren Gottesdienst in einen Kinosaal überträgt. Der Rahmen und die Inhalte seien miteinander zu entwickeln, betonte Christen.

Glauben selbstbewusst bezeugen

Der süddeutsche Theologe Dr. Rudolf Vögele, seit 6 Jahren zuständig für Pastorales im Generalvikariat Zürich-Glarus des Bistums Chur, wollte sein Votum prophetisch verstanden wissen. Er zeigte sich überrascht von den neuen Akzenten, die Papst Franziskus gesetzt hat: Kirche solle heilen und die Menschen in ihrer jeweiligen Lage wahrnehmen. Sie solle selbst zum Zeichen der innigsten Verbindung Gottes mit den Menschen werden, zitierte Vögele den argentinischen Papst.

Er schloss Thesen für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche an: Es werde neben der Eucharistie weitere wichtige Feiern geben. Laien werde mehr Verantwortung übertragen werden müssen. „Das impliziert eine flache Hierarchie.“ Laien sollten selbstbewusst ihren Glauben bezeugen. Von der Vorstellung der Pfarreien als territorialer Einheiten werde man wegkommen und auch auf Orte fokussieren, „wo Menschen ihren Halt im Glauben finden“. Die Rituale seien grosszügig anzubieten. Die Kirche, so Vögele zusammenfassend, werde künftig nicht mehr das grosse Schiff sein, in dem alle Platz finden, sondern eher einer Regatta gleichen „von vielen kleinen Booten, in der Gläubige je ihren Lebenssinn suchen und finden“. Vögele schloss mit einem wahrhaft prophetischen Ausblick: „Kirchen, die sich nichts mehr zu sagen haben und auf ihrem alleinseligmachenden Standpunkt beharren, werden nicht mehr sein.“

Strahlkraft steckt an

Der weitere Abend verlief bodennäher. Unter Leitung von BKP-Präsident Martin Fischer erörterte ein Podium mit den drei Referenten, der Sozialdiakonin Beatrice Binder und der Walder Pfarrerin Milva Weikert Entwicklungsperspektiven. Binder riet, neue Wege zu gehen und mit der Barmherzigkeit Gottes zu rechnen. Ein Bekenntnis würde Klarheit schaffen. Weikert rief dazu auf, Kirche ins Dorf zu tragen, mit anderen zusammenzuarbeiten und Freiwillige zu engagieren. Menschen sollten in der Kirche Raum bekommen, wo sie sich mit ihresgleichen vergemeinschaften könnten, sagte Vögele. Christen erzählte vom Bauvorhaben der Kirche im Prisma (Saal mit 950 Plätzen) und der Chance, „uns noch mehr als Leib zu verstehen“. Bührer gab sich zuversichtlich: „Gemeinden werden profilierter werden; es wird lebendige Gemeinden geben und andere, die hinschauen und sich anstecken lassen.“

Verantwortung auf mehr Schultern verteilen

Auf die Frage Fischers nach Faktoren, die den Gemeindeaufbau hemmten, nannte Vögele Pfarrer und Gemeindeleiter, die alles von sich abhängig machten. „Das lässt Pfarreien ausbluten.“ Freiwillige identifizieren sich laut Weikert mit der Kirche, wenn sie Verantwortung, auch theologische, wahrnehmen können. Allein bei Strukturen anzusetzen genüge nicht; Kirche brauche glaubwürdige Menschen. Was die Flotille zusammenhalte, wollte Fischer von Vögele wissen. Dieser meinte, die Christen seien einig darin, „dass wir einen Wegweiser haben, der Ursprung und Ziel ist, der uns beigebracht hat, den anderen mit den Augen Gottes anzuschauen.“

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