«Wir wollen nicht in Bürokratie versinken»

22. Februar 2023 – Die Kirchgemeinde der Stadt Zürich tut sich mit den zehn Kirchenkreisen schwer, welche bei der Fusion 2019 als Mittelbau zwischen der Kirchenpflege und den 32 Quartiergemeinden eingerichtet wurden. Das Parlament der Kirchgemeinde beschloss am 9. Februar grössere Kompetenzen für die Kommissionen der Kirchenkreise. Eine Initiative, welche Leitungen an ihre Stelle setzen wollte, wurde abgelehnt.

Die im Mai 2021 von Lukas Bärlocher und Matthias Walther eingereichte Parlamentarische Initiative forderte eine andere Leitung und eigenständigere Arbeitsweise für die zehn Kirchenkreise, welche zwischen der gesamtstädtischen Kirchenpflege und den 32 Quartiergemeinden stehen: Statt den Kirchenkreiskommissionen, von der Kirchenpflege eingesetzt und ihr unterstellt, sollten Kirchenkreisleitungen (Einzelpersonen) von ihr eingesetzt werden, welche «selbstständig und in gemeinsamer Verantwortung mit den Pfarrerinnen und Pfarrern» arbeiten und dies «im direkten Dialog» mit den Mitgliedern tun. Die Kirchgemeindeordnung sollte entsprechend geändert werden.

Gegenvorschlag aus der Kommission
In den inzwischen geführten Diskussionen bröckelte die Unterstützung für die ursprünglich von 13 Personen mitunterzeichnete Initiative ab. In der Spezialkommission, welche sie vorberiet, formulierte die Mehrheit einen Gegenvorschlag. Dieser zielte auf mehr Kompetenzen für die Kirchenkreiskommissionen (KKK); diese sollten «für den Prozess der strategischen Weiterentwicklung ihres Kirchenkreises» sorgen und in ihm «die strategischen Ziele und Vorgaben der Kirchenpflege» vertreten, aber auch «die Anliegen des Kirchenkreises» bei der Kirchenpflege einbringen.

Sie sollten zudem über Vergabungen und Kollektenverwendung entscheiden und und bei «gottesdienstlichen Aufgaben» mitwirken. Weiter wurden für jeden Kirchenkreis (KK) neu ein Pfarrkonvent und ein Konvent aller Pfarrpersonen und Mitarbeitenden (mindestens 20 Prozent) beantragt; bisher gibt es nur einen gesamtstädtischen Pfarr- und Gemeindekonvent.

Philippe Schultheiss, Präsident des Parlaments der Stadtzürcher Reformierten.
Thomas Ulrich referierte als Präsident die Kommissionsarbeit.

Wo der Schuh drückt
Das Parlament – drei Viertel der 43 Mitglieder waren anwesend – brachte in eineinhalb Stunden diverse Probleme der mit über 70’000 Mitgliedern einzigartigen Kirchgemeinde zur Sprache. Thomas Ulrich, Präsident der Spezialkommission, erwähnte die Abgänge von KK-Betriebsleiter/innen. Sie seien mit den gegensätzlichen Erwartungen von verschiedenen Seiten (Sekretär – CEO – Edelsekretärin fürs Pfarramt) nicht zurechtgekommen.

Kommissionsmitglied Werner Stahel wurde deutlicher. Die Kirchgemeinde sei «immer noch in einer schwierigen Phase». Sie sollte sich nicht an ungeeignete Stukturen gewöhnen, doch es sei besser, die KKK langfristig beizubehalten. Endlich komme es auf die Leute an. Die Angestellten bräuchten aber eine gute Arbeitsatmosphäre und -kultur. Die meisten «Brandherde» der letzten Jahre seien zwar gelöscht worden, doch manchen Angestellten sei die Geduld ausgegangen. Unbestritten ist laut Stahel das Ziel von weniger Sitzungen. «Wir wollen nicht in Bürokratie versinken, sondern Energie freimachen für die eigentliche Arbeit.»

Nötig: kürzere Entscheidungswege
Der Erstunterzeichner Lukas Bärlocher nahm den eigentlichen Auftrag der Kirche in den Blick: «Wir müssen für Menschen in jeder Lebenslage da sein.» Jetzt werde die die Energie «fürs System statt für die Menschen eingesetzt». Nötig seien kürzere Entscheidungswege. Mitglieder würden so ermutigt, sich für die Kirchgemeinde verantwortlich zu fühlen. Laut Bärlocher geht es um «kurze Prozesswege und flache Hierarchien», um näher bei den Menschen und bei der Gesellschaft zu sein. Mit der Initiative werde ein grösserer Schritt getan, mit dem Gegenvorschlag ein kleinerer.

Annina Hess bezeichnete die Initiative als juristisch nicht umsetzbar; die Umsetzung würde eine Unmenge Ressourcen verschleudern. An Problemen seien nicht Strukturen schuld, sondern Personen. Hess lehnte auch den Gegenvorschlag ab.

Initiative nicht umsetzbar: Annina Hess.
Die Kirchenpflege wird's mit der «Reform 2.0» richten: Präsidentin Annelies Hegnauer.

Kirchenpflegepräsidentin wirbt um Vertrauen
Die Präsidentin der Stadtkirchgemeinde Annelies Hegnauer warnte vor der «tiefgreifenden Strukturveränderung», welche das Ja zur Initiative nach sich ziehen würde. Die Kirchenpflege arbeite bereits intensiv an der «Reform 2.0» der Strukturen und gehe partizipativ voran. Sinnvolle Änderungen könnten im Kompetenzreglement geregelt werden. Die Verwendung der Kollekten sei bereits heute an die KKK delegiert. Daher lehne die Kirchenpflege auch den Gegenvorschlag ab. Man solle ihr das Vertrauen geben, die nötigen Änderungen anzustossen.

Matthias Walther, Co-Autor der Initiative, bedauerte, dass die Kirchenpflege keine Alternative zu ihr vorgelegt hatte. Er beklagte mit Seitenblick auf die Berner Kirche, dass an der Limmat ein «reformiertes Kirchenverständnis» fehle. Und stellte die Frage: «Sollen wir mehr Eigenverantwortung an Pfarrpersonen und Mitglieder geben?»

Gegen «neue, nicht erprobte Strukturen»
Lisa Veitl befand, die Initiative schiesse übers Ziel hinaus. Sie würde den «manchenorts herrschenden Zustand der Unsicherheit» durch «neue, nicht erprobte Strukturen» noch verschärfen. Die Pfarrerin Monika Hirt äusserte Bedenken zum Gegenvorschlag und seinen unscharfen Vorgaben für die KKK. Auch da werde nicht klargestellt, was die KKK an strategischer Führung, Begleitung und Unterstützung leisten sollten. Und: «die KKK, die ich kenne, wollen gar nicht strategisch schaffen, sondern mitschaffen, mitgestalten!» Die Kirchgemeindeordnung sei in diesem Punkt irreführend formuliert.

Annelies Hegnauer trat dem Eindruck entgegen, die Kirchenpflege bemühe sich nicht um bessere Strukturen und adäquate Regelungen. Sie zählte Diverses auf und erwähnte auch die Neubesetzung von sieben (!) KK-Betriebsleitungen. Man habe auch eine Wegleitung zur Zusammenarbeit verabschiedet – ein «Riesen-Dokument». In der gesamtstädtischen Geschäftsstelle sei eine grosse Reorganisation im Gang (ihre Leitung ist nach dem zweiten Abgang in vier Jahren vakant). Die Kirchenpflege sei daran zu klären, was strategisch sei und was operativ.

Die parlamentarische Initiative provozierte eine grundsätzliche Debatte.
Parlamentarier im Kirchgemeindehaus Höngg.

Marie-Ursula Kind, Vizepräsidentin der Kommission, nahm Hegnauer beim Wort: Es gelte tatsächlich, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Die KKK hätten eine ganz wichtige Funktion.

Kinds Empfehlung, den «wohlüberlegten» Antrag der Kommissionsmehrheit anzunehmen, folgten die Parlamentarier denn auch, ohne die umstrittenen Artikel der Kirchgemeindeordnung noch im einzelnen zu diskutieren. Die Initiative unterlag dem Antrag mit 6 zu 19 Stimmen. Die Kommission obsiegte über die Kirchenpflege, welche nichts ändern wollte, mit 18 zu 14 Stimmen.

Website des Kirchgemeindeparlaments
Dokumentation zu Initiative und Gegenvorschlag

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Menü