Im Zeichen des Virus – Löhne steigen!
30. November 2020 – Die Herbstversammlung der Kirchensynode fand im Schatten der Pandemie statt: nicht im Zürcher Rathaus, sondern in der weiten, grauen Bülacher Stadthalle, ohne Morgengottesdienst, verkürzt und mit den gebotenen Hygiene- und Abstandsregeln. Der wirtschaftliche Einbruch, der die Steuereingänge verringern wird, warf einen Schatten auf die Budgetdebatte – aber nicht mehr: Die Mehrheit der Synodalen folgte dem Kirchenrat, der die jährliche Erhöhung der Pfarrlöhne 2021 um sechs Monate verzögert gewähren will. Kirchenrat Daniel Reuter wurde verabschiedet, ohne dass ein Nachfolger gewählt worden wäre.
Simone Schädler, die Synodepräsidentin, las zu Beginn der Versammlung Verse aus 4. Mose 21: Als Israeliten infolge ihres Murrens gegen Gott von Schlangen gebissen wurden, flehten sie Mose an, für sie vor Gott einzutreten. Nach seiner Weisung richtete Mose eine bronzene Schlange auf; Gebissene, die zu ihr aufblickten, blieben am Leben. Schädler, die selbst erkrankt war, schilderte, wie sie sich gegen die Allgegenwart der Pandemie in den Gedanken und Gesprächen wehrt. «Ich blicke auf zu Gott – nicht auf die Schlangen. Ich kann wieder Gespräche führen, ohne das Thema Corona aufgreifen zu müssen.»
Kirchenratswahl verschoben!
Nach dem Rücktritt von Kirchenrat Daniel Reuter auf Ende Jahr hätte die Kirchensynode den Nachfolger wählen sollen. Die Evangelisch-kirchliche Fraktion (EKF) hat Oliver Madörin, Pfarrer in Hinwil, nominiert. Die Präsidentin teilte mit, dass die Wahl vom Büro verschoben wurde. Vorstellungsgespräche seien mit höherem Risiko verbunden, hatte ein Fraktionspräsident im Vorfeld moniert. (Der Bundesrat hat alle parlamentarischen Gremien wegen ihrer Bedeutung fürs Gemeinwesen von Zahlen-Beschränkungen ausgenommen.) Simone Schädler setzte die Synode vom Unmut der EKF in Kenntnis; die Fraktion ist während mehrerer Monate im Kirchenrat nicht vertreten.
Inklusion und Exklusion
Am Ende der Sitzung wurde Daniel Reuter verabschiedet. Emotional bewegt liess er das Dritteljahrhundert, in dem er für die Landeskirche ins Rathaus kam (20 Jahre in der Synode, fast 14 im Kirchenrat), Revue passieren, mit Bemerkungen zu Inklusion und Exklusion. Das Gründungsmitglied der Evangelisch-kirchlichen Fraktion hielt fest, diese habe von 1991 bis 1999 «aktiv betriebene Exklusion durch die anderen Fraktionen hinnehmen» müssen, bis sie endlich proportional in allen Kommissionen vertreten war. Erst 2007 wurde ihr ein Sitz im Kirchenrat eingeräumt.
Die Wahlverschiebung bezeichnete Reuter als Manöver, welches an die Machenschaften von Chinas KP in Hongkong gemahne. «Ist Exklusion wieder im Vordergrund, indem meine Fraktion über Monate aus dem Kirchenrat ausgesperrt bleiben wird?»
Mission – oder Selbstaufgabe
Die Tätigkeit im Kirchenrat habe er zu keiner Zeit bereut, sagte Daniel Reuter. «Opposition um der Opposition willen führt zu nichts!» Unter den Positiva hob er hervor, dass in der Kirchenordnung von 2009 Ökumene und interreligiöser Dialog nicht auf dieselbe Stufe gestellt wurden. Den christlich-jüdischen Beziehungen gehöre ein eigener Rang. «Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum und Christentum haben einen völlig anderen Stellenwert als der interreligiöse Dialog.»
Das Bekenntnis zu Jesus Christus verpflichtet, so Daniel Reuter, «nicht nur zur Ökumene, sondern auch zu Mission und Diakonie». Dazu wünsche er der Kirche Mut und Klarheit. Der langjährige Kirchenrat zitierte Leonhard Ragaz und den katholischen Denker Robert Spaemann: «Mission ist dann nichts anderes als der Versuch, Menschen mit der Botschaft des Evangeliums so bekannt zu machen, dass sie herausgefordert sind, mit Bezug auf den darin enthaltenen Anspruch eine Entscheidung zu treffen.»
Laut Spaemann tritt ein Christ «nicht in den Dialog mit einem Muslim ein mit der Bereitschaft, sich vielleicht davon überzeugen zu lassen, dass Jesus doch nicht der Sohn Gottes sei und dass die Evangelien doch Fälschungen seien, wie der Koran lehrt. (…) Das heisst, das Christentum wird, wie jede universalistische Religion, missionarisch bleiben oder sich selbst aufgeben.» Daniel Reuter schloss seine Ansprache mit Worten aus dem Hebräerbrief (11,1; 12,1-2).
Personalkosten: «So kann es nicht weitergehen»
Soll in Corona-Zeiten im Personalbereich gespart werden? Die Löhne und Sozialleistungen für Pfarrpersonen und Angestellte der Gesamtkirchlichen Dienste (GKD) machen über 80 Prozent des Aufwands der landeskirchlichen Zentralkasse aus. Die Finanzkommission zeigte sich ob des Budgets 2021 gespalten. Ihr Präsident Gerhard Hubmann bezeichnete das Vorhaben des Kirchenrats, die Pfarrerlöhne statt im Januar erst im Juli zu erhöhen, als «halbe Lösung». Wäre nun nicht eher ein «Zeichen der Solidarität» mit Leuten angezeigt, die es nicht so einfach haben?
Rolf Gerber beantragte namens der Kommissionsminderheit eine Einsparung von 900’000 Franken. Die finanziellen Perspektiven für die Folgejahre zeigten, «dass es so nicht weitergehen kann». Wenn die Kirchgemeinden – sie spüren den wirtschaftlichen Einbruch und geringere Unternehmenssteuern eher – nicht höher belastet werden sollten, müsse die Synode jetzt handeln. Ohne ihren Druck werde nichts passieren, sagte Gerber.
Er verwies zudem auf die Situation von Geringverdienenden im Kanton. «Verzichten wir auf den Lohnanstieg und das Ausschöpfen aller bewilligten Stellen in den GKD!» Der Kanton habe bei Lehrerinnen und Lehrern den Stufenanstieg seit zehn Jahren ausgesetzt und gewähre Lohnerhöhungen nur noch individuell. Es gelte nun für die Kirche, Sparwillen zu zeigen. Die Mittel für ihre Angestellten würden, so Gerber, mittelfristig sinken. Diese müssten darauf vorbereitet werden. «Wir trauen unseren Mitarbeitenden zu, dass sie sich nicht allein durch Geld motivieren lassen.»
Sparen jetzt «ein falsches Signal»
Die Finanzchefin der Landeskirche Katharina Kull bestätigte, dass die reformierte Kirche «in naher Zukunft mit weniger Mitteln auskommen muss». Der Kirchenrat sei sparwillig Zu Beginn der Budgeterstellung habe er auf den Stufenanstieg für 2021 gänzlich verzichtet – doch sei dies für Angestellte «ein falsches Signal», da das Lohnsystem der Landeskirche regelmässige Lohnerhöhungen vorsehe. Eine kürzlich eingesetzte Arbeitsgruppe erwäge, ob Stufenanstiege künftig beschränkt werden oder die Kirche ein anderes Lohnsystem einführt.
In der Folge warnte Adrian Honegger davor, den Kirchgemeinden künftig mehr Beiträge abzuverlangen (der Kirchenrat gedenkt 2021 den Beitragssatz bei 3.10 zu belassen und 2022 eine Erhöhung auf 3.20 zu beantragen). Es dürfe nicht sein, dass der Beitragssatz in dem Mass erhöht werde, wie die Gemeinden weniger Steuern erhalten, hielt Honegger fest. «Irgendwann geht die Rechnung nicht mehr auf.»
Den Gürtel enger schnallen
Benedict von Allmen forderte die Synodalen auf, an jene zu denken, die im Corona-Einbruch ihre Arbeitsstelle verlieren. Eine Lohnerhöhung in der Kirche komme in der Gesellschaft nicht gut an, wenn mancher seinen Gürtel enger schnallen müsse. «Sollten Kirchenaustritte zunehmen, haben wir uns das selbst zuzuschreiben.» Heinrich Brändli hieb in dieselbe Kerbe, mit Verweis auf dunkelrote Budgets in Kirchgemeinden: Alle Mitarbeitenden sollten am gleichen Strick ziehen.
Ruth Derrer Balladore bezeichnete das Lohnsystem für die Pfarrpersonen als «dringend renovationsbedürftig». Namentlich für die Jüngeren unter ihnen mache der Stufenanstieg Sinn. Philipp Nussbaumer stellte den Antrag, durch Aussetzen des Stufenanstiegs allein 400’000 Franken (statt 900’000) zu sparen. Kirchenratspräsident Michel Müller äusserte, ein Sparen bei der Entwicklung der Lohnsumme sei kurzsichtig.
Nach einigen Voten zu Details des Voranschlags und des Finanzplans – Jürg Steiner wandte sich dagegen, dass der Kirchenrat bis 2025 über die Hälfte des Eigenkapitals aufbrauchen will – stimmten 54 Synodale für den Voranschlag des Kirchenrats; 43 für den Sparantrag aus der Finanzkommission. Den Ausschlag gab die religiös-soziale Fraktion, die sich diesem fast geschlossen verweigerte. In der Schlussabstimmung passierte das 107-Millionen-Budget mit 88 von 100 Stimmen.
Briefschatz aus der Reformationszeit
Ohne Diskussion wurde ein zweites Geschäft genehmigt: An die Digitalisierung des Briefwechsels von Heinrich Bullinger zahlt die Landeskirche 200’000 Franken. Ein Viertel der 12’000 Briefe, die der Nachfolger Zwinglis und zweite Zürcher Reformator erhielt oder schrieb, ist bisher wissenschaftlich ediert worden. Weil der Nationalfonds die weitere Edition nicht finanziert, soll der gesamte einzigartige Bestand durch digitale Aufbereitung der Nachwelt zugänglich gemacht werden.
Hallt das Reformationsjubiläum nach?
Als zweites grosses Traktandum behandelte die Kirchensynode den Abschlussbericht des Kirchenrats zum Reformationsjubiläum. 2014 hatte sie dafür 2,8 Millionen Franken bewilligt; die Hälfte spies der Kirchenrat in den kantonalen Verein ein, der 2017-2018 ein Kulturfestival veranstaltete. Für die Synodekommission, die den 40-seitigen Bericht des Kirchenrats vorberiet, sprach Hannes Hinnen. Er würdigte die «extrem breite Palette an Veranstaltungen» und dankte den Verantwortlichen. Erfreulich sei vor allem, dass das Bild des Reformators Ulrich Zwingli in der Öffentlichkeit geschärft und modifiziert wurde.
Die Kommission fragte den Kirchenrat, wie das im Jubiläum vor allem durch den Film geweckte Interesse an Zwingli und an der Bibel wachgehalten und weiter gefördert werden könne. Kirchenratspräsident Michel Müller sagte, ein grösseres Interesse an der Bibel lasse sich nicht feststellen. Die Kirche wolle Kontakte zu Künstlerinnen und Künstlern weiter pflegen. Und «auf Augenhöhe mit Menschen über Gott reden» – nicht im früheren Sender-Empfänger-Modus. Der kantonale Verein habe das Kulturfestival eigenständig durchführen können; dass die Landeskirche die Deutungshoheit über die Reformation abgegeben habe, sei visionär.
Die beiden Reformationsbotschafter Catherine McMillan und Christoph Sigrist zogen vor der Synode kurz Bilanz; ihr Einsatz wurde von der Präsidentin gewürdigt und von den Synodalen mit starkem Applaus verdankt. McMillan hielt fest, das Bekennen bleibe eine wichtige Aufgabe der Reformierten, gerade angesichts von Leid und Unrecht in der Welt. Und: «Zürich als Wiege der reformierten Tradition trägt eine besondere Verantwortung.» – Ein Rückblick aufs Reformationsjubiläum folgt.