Innovationskonzept: «Neue Formen von Kirche»

3. Dezember 2022 – Die Kirchensynode hat am 22. November das Innovationskonzept des Kirchenrats zur Kenntnis genommen und für neue Formen von Kirchen einen grossen Rahmenkredit bewilligt. In der Debatte wurden diverse Einwände und Kritikpunkte vorgebracht. Das ausgeglichene Budget 2023 passierte mit kleinen Änderungen. Die Landeskirche wird die TV-Gottesdienste aus der Stadt Zürich weiter mitfinanzieren.

Das Innovationskonzept definiert die in der Kirche gewünschte Innovation, zielt auf zwei Dutzend Projekte bis 2030 und nennt Kriterien für ihre Förderung. Bei der Beschreibung der Ausgangslage heisst es, das «bewährte, ideenreiche und qualitativ hochstehende Handeln der Kirche, das sich laufend verbessert und erneuert», sei fortzuführen. Doch zugleich sei Innovation auf allen Ebenen nötig – vor allem für die Menschen, die bisher nicht in der Kirche lebten, und mit ihnen.

Daher beantragte der Kirchenrat bis 2030 fünf Millionen Franken. Kirchgemeinden wie auch als Verein organisierte neue Gruppen sollen Beiträge aus dem Innovationskredit beantragen können.

«Signal für Zusammenspiel»
Der Versammlung ging der Synodalgottesdienst in der Kirche Oerlikon voraus. Pfrn. Viviane Krucker-Baud von der Evangelisch-kirchlichen Fraktion (EKF) predigte. In der Messehalle folgten die Traktanden. Philipp Nussbaumer (EKF) legte die Erwägungen der vorberatenden Kommission dar. Es gehe darum, «wie in Zukunft Initiativen für neue Formen von Kirche personell, finanziell, inhaltlich und ideell begleitet und unterstützt werden».

Das Konzept leiste dies; damit signalisiere die Landeskirche, «dass sie ein Zusammenspiel von territorial und lebensweltlich orientierter Vielfalt und Innovation will, ohne dabei das eine gegen das andere auszuspielen». In der Kommission wurde die schwache theologische Begründung kritisiert und die Befürchtung geäussert, dass das umfangreiche und komplexe Konzept zusammen mit den Beilagen viele überfordern werde, wodurch Innovation «bereits im Keim erstickt würde».

Das Konzept für die Umsetzung vereinfachen: Philipp Nussbaumer.

Man habe sich auch gefragt, ob hier «Innovation» zu einseitig und eng definiert sei, sagte Nussbaumer. «Auch alte Ideen können zum Beispiel wiederentdeckt werden und heute neue Kraft entfalten.» Innovation könne auch entstehen, «wenn Tradition und Bewährtes zukünftig auf einen neuen Kontext oder eine neue Lebenswelt trifft».

Neue Orte, neue Formen
Der Kirchenrat will, wie der Kommissionspräsident hervorhob, nicht alle innovativen Ideen fördern. Er fokussiere «auf die Entstehung und Etablierung von neuen Kirchenorten und neuen Kirchenformen» innerhalb der Zürcher Landeskirche. Man suche neue Wege, «die Menschen zu erreichen, die in eine grössere Distanz zur Kirche geraten sind oder noch gar keinen Kontakt zur Kirche hatten. Dort wird das grösste Potenzial für Wachstum gesehen.» Dabei sollten auch «kleinere Innovationsprojekte die Berechtigung haben, Kirche zu sein und zu werden».

Der Befürchtung, dass «der Kredit schliesslich verpuffen würde», solle der Kirchenrat mit einer Kurzfassung des Innovationskonzeptes entgegentreten, sagte Nussbaumer. Auch Schulungen seien erforderlich. Man solle in den Kirchgemeinden breit darüber reden und Leute ermutigen, Neues anzugehen und vorzuschlagen.

Menschen in Lebenswelten als Kriterium
Der zuständige Kirchenrat Andrea Marco Bianca äusserte zuerst die Hoffnung, dass die im Konzept vorgegebenen sieben Jahre «von allen genützt werden». Alle seien gefordert, «eine Haltung zu entwickeln, die diese Innovation aus dem Papier in die Wirklichkeit» bringt. Bianca formulierte den Ansatz der federführenden Abteilung der Gesamtkirchlichen Dienste: «Die Menschen in ihren Lebenswelten, so wie sie eben sind, werden zu einem Kriterium, ob es wirklich Innovation ist oder nicht.» Die grosse Mehrheit der kirchlich nicht aktiven Mitglieder gerate nun in den Fokus.

Klare Kriterien für Mittelvergabe: Kirchenrat Andrea Bianca.

Bianca räumte ein, dass für die Umsetzung eine Vereinfachung nötig sei. Und trat der Kritik an der theologischen Dürftigkeit entgegen: Nach dem Vorbild des Patriarchen Isaak wolle man alte Brunnen wieder aufgraben – und dazu neue graben» (1. Mose 26, Konzept S. 16f). Die Speisung der 5000 durch Jesus lehre, auf dreierlei zu achten: Wer sind wir? Was haben wir schon? Was kommt noch von Gott? (Markus 6, Konzept S. 18). Die Kriterien (unter dem Bericht aufgeführt) seien nicht einengend, sondern machten klar, wofür Geld fliessen solle.

Gegen bürokratische Hürden
Bernhard Neyer, der vor Jahren einen Vorstoss für neue Formen von Kirche lanciert hatte, dankte für die Arbeit – und beleuchtete das Innovationskonzept kritisch, dies aufgrund der Kirchengeschichte: Vor zwei Jahrtausenden wäre die von Jesus gegründete Bewegung bedeutungslos geblieben, «wenn sie nicht mit erstaunlichem Mut, Elan und Kreativität bereitwillig ihre Botschaft in andere Kulturen und Zeiten übersetzt und ihrer Gemeinschaft immer neue Ausdrucksformen gegeben hätte» (Konzept S. 6). Der Vertreter des Synodalvereins betonte: «Innovation kann nicht verordnet werden! Innovation geschieht durch intrinsisch motivierte Menschen von unten.»

Zur wirksamen Förderung von Projekten forderte er daher, dass nicht die Initianten Berichte, Nachweise, Evaluationen und Verträge vorlegen müssen, sondern die Verantwortlichen der Gemeinde bzw. der Gesamtkirchlichen Dienste als Gäste hingehen, sich vor Ort ins Bild setzen und sich soweit nötig die erforderlichen Informationen kümmern.

Projekt-Initianten von Bürokram entlasten: Bernhard Neyer (Bild Juni 2022).

Bernhard Neyer zählte die Instanzen auf, welche gemäss dem von der Landeskirche vorgesehenen Ablauf ein Projektantrag durchlaufen müsste, bevor er von der Kirchgemeinde überhaupt an die landeskirchlichen Stellen gelange. Den «zarten Projektpflänzchen» würden so «Unmengen an Ressourcen und Kraft» abverlangt.

Wenn der Kirchenrat einräume, dass innovative Projekte und Engagements nach Einschränkungen andernorts verlangen, wie setze er die Prioritäten? «Was soll aufgegeben werden, was hat Vorrang? Es kommt immer mehr hinzu!!» Die Gelder dürften nicht nach allgemeinen Gesichtspunkten und «nach dem Giesskannenprinzip» vergeben werden, sondern seien gemäss dem tatsächlichen Bedarf einzusetzen, etwa entsprechend dem Wachstum eines Projekts.

An Kirchenpflegen und Konventen vorbei?
Von der Religiös-sozialen Fraktion (rsf) meldeten sich Manuel Amstutz und Annelies Hegnauer zu Wort. Laut Amstutz darf die «ecclesiola die ecclesia nicht übersteuern» – neue Gruppen in der Kirche dürften nicht an Kirchgemeinden vorbei und gegen ihren Willen gefördert werden. Das Konzept enthalte viele unklare oder widersprüchliche Formulierungen. «Grundständige Gemeindearbeit und Projektarbeit müssen einander ergänzen.» Dass Kirchgemeinden Leute eigens für Innovation anstellen, lehnte Amstutz ab. Und wünschte eine Verordnung, um diese Dinge zu klären.

Annelies Hegnauer, Präsidentin der Stadtkirche Zürich, fragte, ob «Initiativen von Mitgliedern, Werken und Gemeinschaften ohne Zustimmung der lokalen Behörden, ohne die Einbindung von Pfarr- und Gemeindekonventen gestützt werden können. Kann und wird der Kirchenrat die Exekutive und die Konvente übersteuern? Wie kann gewährleistet werden, dass Angebote in den Gesamtkontext der Kirchgemeinde eingebaut werden und dass keine Doppelspurigkeiten oder Konkurrenzsituationen entstehen?»

Projekte nicht an Kirchgemeinden vorbei bewilligen: Annelies Hegnauer.

Arbeiter für die grosse Ernte
Fabio Wüst (EKF) signalisierte die Zustimmung der Evangelisch-kirchlichen Fraktion. Die Kriterien für den Bezug von Geldern und die vorgesehenen Verfahren seien angemessen. Früchte tragen werde das Innovationskonzept allerdings nur durch genügend innovative Menschen. Wüst zitierte dazu Jesu Wort in Lukas 10,2: Die grosse Ernte brauche mehr Arbeiter. Dafür sei zu beten.

Was tut Not? fragte Gina Schibler (Liberale) und antwortete: die Bedrohung der Lebensgrundlagen abwenden. «Wenn wir weiter so leben, wird es keine Zukunft für die Nachgeborenen geben.» Nachhaltigkeit könne kein Thema unter vielen anderen sein, forderte die Klima-bewegte Theologin. Zur Umkehr gehöre das Anerkennen von Schuld.

Die Synodalen sagten nach einer Stunde in der Schlussabstimmung klar Ja zu Innovationskonzept und Rahmenkredit (94 Ja, 4 Nein, 6 Enthaltungen).

Schwarze Null im Budget
Als zweites Haupttraktandum war das Budget 2023 zu beraten. Es sah einen Aufwand von 103,8 Millionen Franken bei gleichen Erträgen vor. Den Finanzverantwortlichen wurde in der Synode mehr Realismus attestiert. Gerhard Hubmann, Präsident der Finanzkommission, bemerkte, der Haushalt müsse den Mitgliederzahlen folgen. Der Trend zu Austritten sei nicht gestoppt worden.

Für innovative Menschen in der Kirche beten: Fabio Wüst.

Von den sieben Mitgliedern der Kommission stimmten nur vier für die Beibehaltung des Beitragssatzes, der die Beiträge der Kirchgemeinden an die Zentralkasse fixiert. (Drei enthielten sich, obwohl sie Ja oder Nein hätten stimmen müssen, was Hannes Aeppli im Plenum kritisierte.)

Die für Finanzen zuständige Kirchenrätin Katharina Kull gab bekannt, dass die Zentralkasse von den Kirchgemeinden 1,5 Millionen Franken weniger Steuern erhält, da deren Mitglieder fünf Millionen weniger entrichteten. Fürs Personal (Pfarrpersonen und Gesamtkirchliche Dienste) sind 81,9 Millionen Franken eingesetzt, mit einem Teuerungsausgleich von 2,7 Prozent.

Der Finanzplan 2024-2027 sieht aufgrund eines Kirchenratsbeschlusses für 2025 fünf Prozent Einsparungen vor, für 2027 zehn Prozent. Der Kirchenrat wolle das Eigenkapital von fast 70 Millionen Franken beibehalten, damit es bei krisenhaften Entwicklungen eingesetzt werden könne, sagte Kull.

Kirchgemeinden endlich entlasten!
Zwei Fraktionen meldeten sich zu Wort: Manuel Amstutz wünschte namens der rsf die Unterstützung der Kirchgemeinden durch die Landeskirche in «Klimakrise, Jugendarbeit, Flüchtlingshilfe, Fachkräftemangel, Nachwuchsförderung bei kirchlichem Personal oder auch die Senkung des Quorums von Pfarrstellen».

Während die rsf den Beitragssatz der Kirchgemeinden beibehalten wollte, beantragte Christian Meier, Präsident der EKF, die Kirchgemeinden jetzt zu entlasten. Das zunehmende Eigenkapital sei für die Kirche «kein haltbarer Zustand».

Für die Entlastung der Kirchgemeinden (rote Punkte) stimmten die EKF (rechts) und ein Teil der Liberalen (links), dagegen die Religiös-Sozialen und mehrheitlich der Synodalverein (Mitte links und rechts).

Angesichts der Preissteigerungen seien die Gemeinden zu entlasten. Seit 2015 habe die Landeskirche immer mehr von ihnen eingenommen als sie brauchte. «Kann es wirklich sein, dass wir weiter die Eigenmittel aufstocken und nicht zurückgeben an die Kirchgemeinden?» Der Zentralkassenbeitrag solle nicht künstlich hochgehalten werden. Meier beantragte die Senkung von 3,1 auf 3,0 Prozent.

Alexander Preiss (EKF) und Karin Baumgartner-Bose (Liberale) setzten sich für den kleinen Beitrag an die Suizidnachsorge des Vereins Trauernetz ein; er sei weiter auszurichten. Gerda Zbinden beantragte die Beibehaltung des Diakoniekredits von 250’000 Franken. Die beiden Anträge wurden deutlich genehmigt. Der gewichtige Antrag Meier wurde mit 33:60 Stimmen bei 6 Enthaltungen abgelehnt – die Kirchgemeinden haben weiterhin gleich viel zu entrichten. In der Schlussabstimmung passierte das Budget mit 95 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung.

Mehr für die Stadtzürcher TV-Gottesdienste
Nadja Boeck (rsf) lobte als Kommissionssprecherin die TV-Gottesdienste, die seit 2020 von Stadtzürcher Kirchgemeinden gestaltet, zweiwöchentlich von TeleZüri übertragen und auf Youtube aufgeschaltet werden. Sie seien noch in der Experimentierphase. Die Klickraten auf Youtube seien gut.

TV-Gottesdienste aus Zürich verstärkt fördern: Nadja Boeck.

Die Kommission beantragte «für die qualitative Weiterentwicklung» des Formates, Vermarktung und Qualitätskontrolle/Evaluation zusätzliche 20’000 Franken pro Jahr. Der Kirchenrat wünschte für die nächsten drei Jahre – als verlängerte Pilotphase – je 100’000 Franken. Die Anträge wurden diskussionslos gutgeheissen.

Livestream-Aufzeichnung der Versammlung

 

Kriterien für die Förderung von innovativen Projekten durch die Landeskirche (Innovationskonzept Seite 44):

  • Die Innovation besteht aus einer entstehenden Gemeinschaft, die sich als Ergänzung versteht zu bestehenden «Gemeinden» in einer polyzentrischen Landschaft von Orten und Formen einer Kirchgemeinde oder der Landeskirche. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft (also jene, die regelmässig an Treffen des neuen kirchlichen Orts oder der kirchlichen Form teilnehmen) verstehen sich im weiten Sinn als kirchliche Gemeinschaft.
  • Die Innovation versteht sich als Teil der Reformierten Kirche und pflegt die in der Kirchenordnung formulierte Offenheit, reformierte Werte und eine landeskirchliche Kultur.
  • Die Innovation schafft Brücken zu vielfältigen Menschen, die momentan eher distanziert zum kirchlichen Handeln stehen.
  • Der kirchliche Ort oder die kirchliche Form ist von Anfang an partizipativ mit diesen Menschen gestaltet worden. Damit wird die volkskirchliche Logik an mindestens einer Stelle überschritten (z. B. Orientierung an einer Lebenswelt statt am Ort, Region statt Kirchgemeinde, Thema statt Breite, Freiwillige statt Profis, gestalten statt konsumieren, im Café statt in der Kirche usw.)
  • Der neue kirchliche Ort oder die neue kirchliche Form wird getragen von einer Gemeinschaft, die sich regelmässig (z. B. monatlich) trifft. Eine gelebte Spiritualität nimmt einen wichtigen Raum ein.
  • Der neue kirchliche Ort oder die kirchliche Form hat einen Namen, der eine Identität gibt.
  • Eine erkennbare Leitung des kirchlichen Orts oder der kirchlichen Form ist vorhanden. Sie kann von mehreren Personen, inbesondere auch von Freiwilligen, übernommen und alternierend gestaltet werden.
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