Kirchensynode im Übergang

Im Frühling wurde die reformierte Kirchensynode neu gewählt, am 3. Oktober hat sie zu arbeiten begonnen. Die Liberale Fraktion und die Evangelisch-kirchliche Fraktion sind gewachsen. Sie stellen nun zusammen 66 der 123 Synodalen. Kirchenratspräsident Michel Müller wurde verabschiedet.

Willi Honegger eröffnete die Versammlung als Alterspräsident; seit 1996 gehört der Baumer Pfarrer der Kirchensynode an. In seiner Rede zitierte er aus den Ansprachen von zwei Vorgängern. Am 21. Juni 1939 – kurz vor Kriegsausbruch – sagte Pfr. Robert Wiesmann:

«Das Reich Gottes wächst – aber es wächst wie alles auf Erden nicht ohne Hemmungen und Widersacher, nicht ohne Rückschläge und Gefahren, nicht ohne unsere bangen Seufzer und innigen Bitten … Kann es Gott gefallen, dass wir als hoffnungslose Propheten in die von trüben Nebeln verschleierte und unheimlichen Blitzen durchzuckte Zukunft blicken und überall nur Zusammenbruch und Umsturz wittern? Oder sollen wir nicht vielmehr im Vertrauen auf seine Allmacht mit dem christlichen Dichter froh ausrufen: ‹Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl!›?»

Weiter zitierte der Alterspräsident den Vorgänger, der schon 1920 die Trennung von Kirche und Staat zur Sprache brachte und zur Beachtung der «Zeichen der Zeit» mahnte. Willi Honegger rief die Synodalen auf, «in grosser Freiheit jene Themen zu benennen, die Ihnen am Herzen liegen». Auch der «Selbsterhaltungstrieb der Institution Landeskirche» dürfe sie nicht daran hindern. Sie hätten gemäss ihrem Gelübde «…der Landeskirche in Erfüllung ihres Auftrags zu dienen und so die Sache Jesu Christi nach Kräften zu fördern».

Gegen Cancel-Culture und Gesinnungsdiktate
Der Baumer Pfarrer rief die Synodalen auf, sich frei und ohne Scheu zu äussern «in Zeiten, wo Cancel-Culture und Gesinnungsdiktate in das freie öffentliche Reden eingreifen und es verunstalten». Der Verengung der Meinungs-Korridore und der Schrumpfung der Denkräume müsse gerade in der Kirche gewehrt werden.

Gegen Rede- und Denkverbote: Alterspräsident Willi Honegger in der konstituierenden Versammlung.

Das feste Gottvertrauen von 1939 sei keine Leistung, sondern eine «von Gott geschenkte Gabe, ein Gnadengeschenk für jeden Christenmenschen». Das Vertrauen schütze auch heute, namentlich vor Zynismus und Resignation. Abschliessend meinte Honegger, es sei nicht die Aufgabe der Synode, «die Kirche Jesu Christi in eine für die momentanen Zeitgenossen annehmbare Form umzugestalten. Nur dieses Eine dürfen wir an uns und unserer Kirche geschehen lassen: Dass wir umgestaltet werden in das Bild unseres Herrn Jesus Christus.»

Zu einem Drittel erneuert
Der konstituierenden Versammlung war ein Gottesdienst im Offenen St. Jakob vorausgegangen. Im Rahmen der von Kirchenratspräsident Michel Müller gestalteten Liturgie predigte der abtretende Kirchenrat Bernhard Egg über das Manna: Nahrung, die wir uns nicht selbst geben können.

Im Rathaus Hard wurde dann zuerst die Wahl der 120 Synodalen in den Wahlkreisen und der drei Vertreter der Kirchengemeinschaften erwahrt. Alle 77 wieder kandidierenden Mitglieder wurden gewählt; neu gehören 43 Personen dem Kirchenparlament an. Das Durchschnittsalter der 53 Frauen und 70 Männer beträgt neu 55,1 Jahre (2019: 54,6 Jahre). Der Anteil der Pfarrerinnen und Pfarrer ist von einem Viertel auf ein Fünftel gesunken.

Blumen fürs Präsidium: Simone Schädler (Mitte) mit ihren Vize Barbara Bussmann und Michael Bänninger.

Neue Mehrheit
Es folgten die Wahlen der eigenen Organe: Simone Schädler, im November 2017 als erste Frau zur Präsidentin gekürt, wurde für die neue Amtszeit bestätigt. Nach den Vizepräsidenten, Sekretären und Stimmenzählern wurden die Mitglieder der landeskirchlichen Rekurskommission gewählt und die ständigen Kommissionen bestellt.

Die Ämter werden nach Fraktionsgrösse anteilsmässig verteilt, wie die liberale Fraktionsvorsitzende Ruth Derrer Balladore ausführte. So erhalten die Liberalen und die Evangelisch-kirchliche Fraktion (EKF), denen neu 34 bzw. 32 Synodale angehören, je zwei von sieben Sitzen. Weiter wurden die Abordnungen in die nationale Synode und in den Trägerverein der Mitgliederzeitung reformiert. bestimmt.

Die Macht genossen
Kirchenratspräsident Michel Müller, der seine im Januar verkündete Kandidatur für zwei weitere Jahre im September zurückgezogen hatte, wurde in der Synode verabschiedet. Nachdem Andrea Widmer Graf von seiner Fraktion, dem Synodalverein, ihn als «quirligen» Macher gewürdigt hatte, blickte er zurück auf seine zwölf Amtsjahre. Er habe die Macht in dem Sinn «genossen», als sie die Möglichkeit geboten habe, «zu machen» und Dinge anzustossen und zu bewegen, sagte Müller. In der reformierten Kirche sei die Macht aber immer geteilt.

Nach der Mittagspause folgte eine Schulung über die Parlamentsarbeit. Der frühere Kirchenrat Daniel Reuter legte den Synodalen die Instrumente und Regelungen der Synode dar.

Tritt nicht mehr an: Michel Müller bei seiner Abschiedsrede.

Zweiter Kandidat des Synodalvereins
Obwohl der Synodalverein (dem Michel Müller angehört) infolge der Wahl von der grössten zur kleinsten Fraktion geschrumpft ist, will er erneut zwei Kirchenratssitze. Am 5. Oktober wurde beschlossen, Thomas Villwock, Pfarrer in Schönenberg, als Kandidaten aufzustellen. Damit kommt es am 21. November zu einer doppelten Kampfwahl: Das Präsidium streben die Kirchenrätin Esther Straub und die Kirchenforscherin Sabrina Müller an.

Für die sechs übrigen Sitze kandidieren mit Villwock sieben Personen: vom Synodalverein auch Margrit Hugentobler, von den Liberalen Katharina Kull, von der religiös-sozialen Fraktion Eva Schwendimann, von der evangelisch-kirchlichen Fraktion Bruno Kleeb und Franco Sorbara – und ohne Fraktionsunterstützung der seit 2007 amtierende Pfarrer Andrea Marco Bianca.

Margrit Hugentobler und Andrea Bianca, die wieder für den Kirchenrat kandidieren, und Esther Straub, die Präsidentin werden will, beim Singen des Eingangsliedes.
Menü