Wohin steuert die Kirche?  

3. Oktober 2020 – Die Zürcher Kirchensynode hat am 29. September in Winterthur die Ziele des Kirchenrats für die nächsten Jahre besprochen und zustimmend zur Kenntnis genommen. Sie hat zudem das Engagement für Palliative Care bestätigt. Gegen den Willen des Kirchenrats erhielt sie die Forderung nach einem stärkeren Finanzausgleich mit mehr Solidarität für kleine Kirchgemeinden aufrecht; das entsprechende Postulat wurde nicht abgeschrieben.

«Sorgsam und innovativ» soll sich die Landeskirche gemäss dem Kirchenrat entwickeln. Den sechs Legislaturzielen für 2020 bis 2024 hat er Massnahmen beigegeben. «Über Gott reden» ist das erste der sechs Ziele. Für Christian Meier, Sprecher der Evangelisch-kirchlichen Fraktion EKF, deutet diese distanzierte Formulierung ein Identifikationsproblem der Kirche an. «Identifizieren wir uns mit diesem Gott, der im Alten und Neuen Testament und in der Person von Jesus Christus spürbar wurde und wird?»

Gerade kirchenferne Menschen würden von der Kirche erwarten, dass sie mit Gott rede, sagte er in Winterthur. «Statt über Gott wollen wir mit und von Gott sprechen.» Dem Reden gehe das Hören auf Gott voraus, das in der Auseinandersetzung mit dem biblischen Wort beginne. Nur aus der Beziehung mit Gott heraus werde das Reden von ihm realitätsbezogen.

Verschiedenen Frömmigkeitsstile Raum geben
Daher werde es immer unterschiedliche Frömmigkeitsstile geben, äusserte Christian Meier. «Alle Frömmigkeitsstile sollen sichtbar werden und akzeptiert sein.» Die EKF fordere darum einen «Verständigungsprozess zur Spiritualität, der auch Minderheiten Raum gibt». Würden neue Formen der Spiritualität gefördert, dürfe die Meinungsvielfalt nicht eingeengt werden. Minderheitsmeinungen zu Glaubensthemen müsse in den Gesamtkirchlichen Diensten und auch auf digitalen Plattformen der Landeskirche Raum gegeben werden.

Arend Hoyer, Sprecher der Religiös-Sozialen (rsf), lobte den Kirchenrat dafür, dass er der «Sprachlosigkeit allem Metaphysischen und Religiösem gegenüber» begegne. Ivan Walther fragte angesichts des innovativen Strebens: «Wie bringen wir die Menschen dazu, alte und bewährte Formen der Spiritualität aufzugreifen?»

Beziehungen zu Jugendlichen über den Konf hinaus pflegen: Viviane Baud, Pfarrerin in Winterthur-Seen:

Junge Leiter am Konf beteiligen
«Junge Mitglieder stärken», das zweite Ziel des Kirchenrats, fand allseitige Zustimmung. Viviane Baud von der EKF erlebt, dass dies über gute Beziehungen geht. «Wo junge Leiter der Jugendarbeit auch schon im Konf-Unterricht mitbeteiligt sind, gelingt es eher, dass Jugendliche nach der Konfirmation Zugang zur Jugendarbeit und zur Kirche behalten.» Der Nach-Konf-Arbeit sei daher besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Entscheidend ist laut Viviane Baud endlich ein «echtes Interesse an den Jugendlichen und ihrer Lebenswelt». Um sie zu engagieren, sollte die Landeskirche, so Baud, das heutige Mitgliedschaftsmodell überdenken (der Kirchenrat sieht dies vor). Ohne das Territorialprinzip aufzugeben, sollten andere Formen der Mitgliedschaft ermöglicht werden.

Hanna Marty vom Synodalverein rief die Verantwortlichen auf, Freiräume zu schaffen: «Lassen wir die Jugendlichen, die wir noch haben, innovativ sein, lassen wir sie träumen und setzen wir die Träume um – dann wird unsere Kirche von unten neu.» Kirchenratspräsident Michel Müller wies darauf hin, dass die Landeskirche in diesen Wochen eine neue Jugendleiterausbildung lanciert.

Kraftloser Grüner Güggel?
Die Erörterung des dritten Ziels «Umweltbewusst handeln» drehte sich um die Tragweite des Umwelt-Labels «Grüner Güggel» und wie bzw. wann Kirchgemeinden auf klimafreundliches Handeln verpflichtet werden. Peter Nater wünschte, dass alle Kirchgemeinden sich auf den Weg machen, um sich zertifizieren zu lassen. Hanspeter Friedli von der EKF befand, der Kirchenrat solle den Grünen Güggel substanzieller ausgestalten und die Kirchgemeinden unterstützen. Wirkungsvolle energetische Massnahmen gingen ins Geld; daher werde zu wenig investiert. Laut Kirchenrätin Esther Straub will die Exekutive das Label für alle Gemeinden implementieren. Es sei an der Synode, den Grünen Güggel für sie verbindlich zu machen.

Matthias Reuter von den Religiös-Sozialen kritisierte, dass sich Kirchenrätin Katharina Kull in einem Komitee gegen die KOVI engagiert. Kirchenratspräsident Michel Müller verwies auf die Haltung der Schweizer Kirche EKS (für die Volksinitiative). Doch öffentlich-rechtliche Körperschaften sollten nicht Abstimmungskampf machen: Frau Kull vertrete eine Meinung im Kirchenrat.

Sorge tragen!
Die drei übrigen Legislaturziele gaben wenig zu reden. «Sorge tragen», meinte Arend Hoyer von der rsf, könne kirchliches Handeln überhaupt zusammenfassen. Hiermit liesse sich neu von Gott reden, das Verhältnis zur Jugend und zur Mitwelt bedenken und der digitale Wandel kritisch begleiten. Das letztere strebt der Kirchenrat im fünften Ziel an. Hoyer mahnte: «Aller Attraktivität zum Trotz sind wir einem anderen Evangelium und ganz realen Mitmenschen verpflichtet und nicht den Chancen, die uns die digitale Kultur bietet.»

Endlich deklariert der Kirchenrat, in den nächsten Jahren die Innovation fördern zu wollen. Mit dem Wort sei, so Hoyer kritisch, wohl beabsichtigt, «die sich auf der Linie des technologischen Fortschritts befindlichen Möglichkeiten schneller zu nutzen als andere. Wer also innovativ sein will, ist Sklave der jeweiligen Entwicklung und gibt sich nur den Anschein, Neues zu wagen.» Thomas Schlag, Synode-Vertreter der Theologischen Fakultät, gab bekannt, diese forsche zur digitalen Revolution und sei zur Zusammenarbeit mit der Kirche bereit.

Verlust der Jugend als strategisches Risiko
Der Erörterung der Ziele für die neue Amtszeit hatte die Synodeleitung den Rückblick der Exekutive auf die vergangenen Jahre vorangestellt. Die dafür gesetzten Ziele (v.a. zum Reformationsjubiläum und zu KirchGemeindePlus ) sieht der Kirchenrat grösstenteils als erfüllt an.

Bei der Arbeit an den neuen Zielen liess er extern eine betriebswirtschaftliche Risikoanalyse erstellen. Danach mangelt es der Zürcher Landeskirche an Compliance-Bewusstsein; als weitere strategische Risiken werden der Verlust der Jugend und junger Erwachsener und «exponentiell sinkende Mitgliederzahlen» benannt. Zudem heisst es, viele Angestellte der Kirche identifizierten sich zu wenig mit ihr und zeigten wenig «Innovations- und Leistungsfreude».

Die Gesamtkirchlichen Dienste haben überdies die Ergebnisse der sogenannten «Widmer-Studie» zu den gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Landeskirchen ausgewertet. Deutlich wurde, dass die vom Kanton verlangte Unterscheidung von kultischen und nicht-kultischen Tätigkeiten der Landeskirche Mühe bereitet.

Wie viel Solidarität unter den Kirchgemeinden?
Spannung kam im gediegenen Winterthurer Kirchgemeindehaus an der Liebestrasse nur einmal auf. Der Kirchenrat beantragte mit einem Bericht die Abschreibung eines Postulats von 2017, das auf mehr finanzielle Solidarität unter den Kirchgemeinden mittels Angleichung der Steuerfüsse abzielte. 2019 konnte sich die vorberatende Synodalkommission nicht für den kirchenrätlichen Entwurf des neuen Finanzausgleichs erwärmen; die Vorlage steht aus.

Im vorliegenden Bericht erkannte Kommissionsmitglied Theddy Probst keine Hinweise, dass deren Anliegen «irgendwie bedacht geschweige denn aufgenommen wurden». Nach dem Bericht würde der Finanzausgleich weiterhin auf der Steuerkraft der Gemeinden basieren und regionale Unterschiede nicht berücksichtigen. «So würden wir in einer Zweiklassengesellschaft landen.» Der Kirchenrat habe sich verpflichtet, keine Zwangsfusionen herbeizuführen – so dürfe dies nicht mit finanziellem Druck angestrebt werden.

Hans-Martin Aeppli stellte sich auf den Standpunkt, das Postulat könne erst abgeschrieben werden, wenn die neue Finanzordnung mit dem Ausgleich genehmigt worden sei. Unklar sei weiterhin der Gesamtbetrag des Finanzausgleichs. Beat Schneider, ebenfalls Mitglied der Kommission, erwähnte ihre Erwägung, jede Kirchgemeinde habe einen Grundbedarf. Nach diesen Voten stimmten 55 Synodale für Rückweisung des Berichts; 46 wollten das Postulat abschreiben.

Palliative Care: Ja – aber mehr kosten darf sie nicht
Die Synodalen erörterten einen Bericht des Kirchenrats zu den landeskirchlichen Bemühungen für Palliative Care seit 2015. Andrea Widmer Graf von der vorberatenden Kommission lobte den Bericht. «Letzte Hilfe»-Kurse sind sehr gefragt. Es gebe allerdings zu wenige Ansprechpersonen vor Ort. Eine Schulung für Freiwillige wurde nicht eingerichtet.

«Menschen, die über ihr Leiden sprechen und es einordnen können, leider weniger», sagte Jacqueline Sonego Mettner, die mit Brigitte Henggeler den Bericht angeregt hatte. Betroffene sollten auch zu Hause Zugang zu einer qualifizierten Seelsorge haben. Dafür sei eine vermehrte Vernetzung mit Fachpersonen erforderlich – und eine Zusatzausbildung für Pfarrpersonen und Sozialdiakone. Diese könnten auch Exit-Mitglieder kundig und sensibel begleiten. Regional sollten Ansprechpersonen bezeichnet werden. Laut Hanna Marty gibt es auch viele Freiwillige, die das Gespür für Fragen ums Sterben haben.

Sitzung mit Abstand: Kirchenrat und Synodeleitung vor den Orgelpfeifen.

Kirchenrat Andrea Marco Bianca wies darauf hin, dass der Bundesrat regionale Foren einrichten will. Da wolle sich die Landeskirche einbringen und «mit den bestehenden Ressourcen den Weg weitergehen». Mehr Mittel könne sie nicht einsetzen, da magere Jahre auf die Kirche zukämen.

Auf Antrag des Kirchenrats bewilligte die Kirchensynode einen Beitrag an die 50%-Professur für Spiritual Care an der Universität Zürich, die 2016 für Simon Peng-Keller eingerichtet wurde. Pengs Tätigkeit wurde allseits gelobt; seine Kurse seien alle überbucht, sagte Bianca. Die Forschung und Lehre an der Grenze von Medizin und Theologie (inkl. Modul für Theologiestudierende und Weiterbildung für Pflegefachpersonen) soll ab 2022 für sechs weitere Jahre finanziert werden. Wie die Römisch-Katholische Körperschaft zahlt die Landeskirche während dieser Zeit jährlich 100’000 Franken.

Rücktritt von Daniel Reuter
Daniel Reuter ist nach 13 Jahren aus dem Kirchenrat zurückgetreten. Die Evangelisch-kirchliche Fraktion schlägt Pfr. Oliver Madörin aus Hinwil für den freiwerdenden Sitz vor, wie Fraktionschef Willi Honegger mitteilte. Die Wahl findet am 24. November statt.

Die Synodepräsidentin Simone Schädler würdigte die Verdienste von Walter Lüssi, der seit 2015 als Kirchenratsschreiber geamtet hat und im Oktober in Pension geht. Mit der Reorganisation der Gesamtkirchlichen Dienste 2015 fiel dem Schreiber ihre Leitung zu. Walter Lüssi fasste Eindrücke zusammen, die er als Beobachter der Synodeverhandlungen gewonnen hatte, und betonte, faire, respektvolle und wertschätzende Diskussionen ermöglichten gute Entscheide. Als Nachfolger Lüssis hat der Kirchenrat den Theologen Dr. Stefan Grotefeld gewählt, der bisher die GKD-Abteilung Lebenswelten leitet.

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