Eine Kirchenordnung für grosse Gemeinden
22. Dezember 2017 – Der Kirchenrat schlägt in der Kirchenordnung diverse Änderungen zugunsten grosser Kirchgemeinden vor. Durch die Teilrevision sollen sie künftig mehr Pfarrstellen erhalten und ein Parlament einrichten können. Kirchenpflegen werden mehr in die Pflicht genommen. Das Recht, über die Information der Gemeindeglieder zu bestimmen, will der Kirchenrat den Kirchenpflegen nehmen – die Zeitschrift reformiert. soll in allen Kirchgemeinden als Mitgliederzeitung verteilt werden. Der Abbau der Gemeindeautonomie stösst auf Kritik. – Hier wichtige Änderungen im Überblick und ein Kommentar.
Die Vorlage zur Teilrevision der Kirchenordnung wurde am 20. Dezember veröffentlicht und soll bereits im Frühjahr 2018 von der Kirchensynode beraten werden. Damit wird die Kirchenordnung ans neue Gemeindegesetz des Kantons angepasst. Unübersehbare Schatten wirft der Prozess KirchGemeindePlus und insbesondere der Umbruch in der Stadt Zürich, wo eine Kirchgemeinde mit über 80‘000 Mitgliedern und 50 Pfarrern entstehen soll.
Kirchgemeindeparlamente werden ermöglicht (acht neue Artikel) und die Funktion von Kirchgemeindeschreibern – als Chefs einer professionalisierten Verwaltung – soll in der Kirchenordnung verankert werden: Sie «unterstützen die Kirchenpflege, das Pfarramt und die Dienste der Kirchgemeinde in der Aufgabenerfüllung und nehmen die durch die Kirchenpflege übertragenen Aufgaben wahr».
Für grössere Gemeinden mehr Pfarrstellen
Neue Wege geht der Kirchenrat in der Bemessung der Gemeindepfarrstellen. Sie soll grundsätzlich linear sein: zehn Stellenprozente für 200 Mitglieder. Zusätzliche Stellenprozente soll es für Gemeinden mit über 2000 Mitgliedern geben, um ihnen, wie der Kirchenrat erläuternd schreibt, zu erleichtern, «besondere Aufgaben und Projekte zu verwirklichen und Schwerpunkte im Gemeindeaufbau zu setzen». Grössere Gemeinden hätten zusätzliche Aufgaben (z.B. Pflegeheime) und es gebe höhere Erwartungen ans Pfarramt. Die Kirchensynode soll den Gesamtetat für jede Amtsdauer beschliessen.
Für besondere Umstände und Härtefälle will der Kirchenrat überdies 1000 Stellenprozente zuteilen können (weniger als bisher). Gemeinden mit weniger als 2000 Mitgliedern soll die neue Regelung erst in der übernächsten Amtsdauer 2024-2028 betreffen. Das Minimalpensum für Pfarrer in einer Gemeinde ist wie bisher 30 Prozent. Weiterhin können Gemeinden selbst Pfarrstellen, auch zusätzliche Prozente, finanzieren.
Gemeindeleitung
Kirchenpflegen können das Gesamtpensum der Pfarrstellen künftig selbst auf die Pfarrer und Pfarrerinnen in der Gemeinde aufteilen. Kompliziert geregelt ist die Vertretung von Pfarrkollegium und Gemeindekonvent (Pfarrer und Mitarbeitende) in den Sitzungen. Kirchenpflegen müssen sich neu eine Geschäftsordnung geben, Pfarrkonvente sollen selbst «im Einvernehmen mit der Kirchenpflege» eine Pfarrdienstordnung beschliessen (bisher tut es die Kirchenpflege).
Der Pfarrkonvent verantwortet den «Aufbau der Gemeinde in theologischer Hinsicht». In Pfarrwahlkommissionen sollen amtierende Pfarrer der Gemeinde nicht mehr mitwirken. Mit einer Ausnahme müssen Pfarrerinnen und Pfarrer künftig nicht mehr in der Kirchgemeinde wohnen, in der sie arbeiten. Auch Kirchenpfleger können von ausserhalb der Gemeindegrenzen zugewählt werden.
Kirchgemeinden, die fusionieren wollen, sollen «in ihren Bestrebungen von der Landeskirche unterstützt» werden. Jede Gemeinde hat «unterschiedliche Formen des kirchlichen Lebens» zu fördern und für entsprechende Initiativen von Mitgliedern Mittel zur Verfügung zu stellen. Dabei hat sie auf «lebensweltliche Gesichtspunkte» zu achten. Dazu will der Kirchenrat Richtlinien erlassen können.
Mitglieder-Daten
Neu interpretiert wird der grundlegende Satz der Kirchenordnung «Die Landeskirche baut auf den Kirchgemeinden auf». Denn ihr soll neu ein zentrales Mitgliederregister zur Verfügung stehen – mit Daten, die auch interkantonal ausgetauscht werden können.
Kirchliche Handlungen sollen Mitgliedern nur noch «im üblichen Rahmen» unentgeltlich angeboten werden. Andererseits soll es «in begründeten Fällen» Taufen ausserhalb des Gemeindegottesdienstes sowie – auf Wunsch – Trauungen und Abdankungen ausserhalb der Kirche geben.
Erweiterte Kompetenzen für den Kirchenrat
Der Kirchenrat beantragt für sich verdreifachte Finanzkompetenzen; zudem sollen die Gesamtkirchlichen Dienste mit vom Kirchenrat geregelten «Aufgaben, Organisation und Zuständigkeiten» in der Kirchenordnung erwähnt sein. Der Kirchenrat will deren Abteilungsleitern mehr Befugnisse geben. Verbindlicher als bisher will er den Kirchgemeinden (nicht allein den finanzschwachen) im Liegenschaften-Management Vorgaben machen.
Insgesamt schlägt der Kirchenrat die Revision von 76 Artikeln der Kirchenordnung und 21 zusätzliche Artikel vor. Neben Nachführungen und Präzisierungen gibt es diverse Neuerungen; so werden auch für Kirchenmusiker und Katechetinnen Kapitel eingerichtet. Die drei vorberatenden Kommissionen sollen ihre Anträge bis Mitte März stellen; am 8. April beginnt die öffentliche Beratung im Rathaus.
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Kommentar: Teilrevision unter dem Stern von KG+
Die überarbeitete Vorlage des Kirchenrates an die Synode zur Teilrevision der Kirchenordnung hat zwar einige Zacken weniger als die ursprüngliche. So fehlen die ausführlichen, die Gemeindeautonomie einschränkenden Bestimmungen über die Aufsicht.
Die Vermittlungsaufgabe der Ombudsstelle bleibt dem Grundsatz nach erhalten. Ein Lichtblick ist auch die Flexibilisierung der Wohnsitzpflicht bei den Wahlen in die Kirchenpflegen.
Aber die Stossrichtung ist die gleiche: weiter unter dem Stern von KirchgemeindePlus (KG+), generell mehr Administrierung und mehr Kompetenzen für Kirchenrat (auch finanziell!) und die Gesamtkirchlichen Dienste (GKD). Der Gesamteindruck ist «hoppertatschig»* – die Vorlage ist von oben nach unten konzipiert. Dazu ein paar Stichworte:
Grössere Kirchgemeinden werden – auf dem Weg zu KG+ – klar bevorzugt. So soll es für sie anteilmässig mehr Pfarrstellen geben und bei mehr als 2000 Mitgliedern einen Bonus in Form zusätzlicher Stellenprozente. Mittlere und kleinere Kirchgemeinden geraten unter nochmals verstärkten Fusionsdruck.
Gefördert wird die Einheitskost. Die kirchliche Vielfalt dagegen ist nur begrenzt erwünscht; die Kirchgemeinden sollen Mittel dafür nur in angemessenem Umfang zur Verfügung stellen. Die Gemeindeautonomie und die kirchlichen Minderheiten werden es noch schwerer haben – Experimentierformen und Freiwilligenarbeit erst recht.
Es soll mehr sog. Professionalisierung geben, dies u.a. dank den Kompetenzen der Kirchgemeindeschreiber (sowie den zusätzlichen der GKD) und den neuen Kapitelversammlungen. Die Macht des Faktischen wird dies in der Praxis noch verstärken helfen.
Die Rolle der Pfarrperson und der Stellenwert des Pfarramtes bleiben diffus. Immerhin darf der Pfarrkonvent nun die Pfarrdienstordnung (im Einvernehmen mit der Kirchenpflege) beschliessen.
Besonders aufschlussreich ist dabei, dass der Kirchenrat in der Einleitung die Vorlage in einen grösseren theologischen und rechtlichen Zusammenhang stellen will und diese Grundlagen, teilweise gewagt, neu interpretiert.
So soll die Kirchenordnung ein «in Gesetzessprache gegossenes Bekenntnis» werden und dies «Ausdruck des Priestertums aller Gläubigen» sein (S. 4). Die Einleitung überzeugt nicht, auch weil die entscheidenden theologischen Begriffe nicht definiert werden.
Was ist zu tun?
Das Beste ist sicher, auf die sehr umfangreiche Vorlage gar nicht einzutreten – dies schon darum, weil sie (einmal mehr) unter Zeitdruck behandelt werden soll. Der Kirchenrat kann rasch die wenigen wirklich nötigen Änderungen als Folge des neuen kantonalen Rechts (Gemeindegesetz) und die für die Organisation der neuen Stadtgemeinde Zürich erforderlichen Bestimmungen – zusammen mit ein paar wirklich harmlosen Anpassungen – erneut vorlegen.
Der Rest ist zwar wichtig, aber gerade darum nicht dringend (und für das Projekt KG+ kaum wesentlich): Er soll ohne zeitlichen Druck erst dann beraten werden können, nachdem die wirklich grundsätzlichen (inhaltlichen!) Fragen geklärt sind.
Wenn sich dafür keine Mehrheit findet, so ist es Pflicht der vorberatenden Kommissionen und der Synode, bei jeder beantragten Änderung in der Vorlage über die Bücher zu gehen: Ist sie wirklich nötig?
Und dann je nachdem den Mut haben, Rückweisung zu beschliessen.
Karl Stengel
* hoppertatschig: österreichischer Dialektausdruck (aus dem Französischen: de haut en bas): «ungeschickt im Umgang mit Mitmenschen, überheblich»