Stadtzürcher Megafusion ohne Hirzenbach und Witikon
18. Januar 2018 – Können Kirchgemeinden der Stadt Zürich, die sich nicht der geplanten Mega-Gemeinde anschliessen wollen, einen eigenen Weg gehen? Die Frage hatte die Kirchensynode am 16. Januar 2018 zu entscheiden. Zum ersten Mal war eine Fusion in der Zürcher Landeskirche umstritten. Die Kirchensynode würdigte die Eigeninitiative und stellte Freiheit über Geschlossenheit. Sie vermied damit ein für die Strukturreform KirchGemeindePlus bedrohliches Signal: dass Gemeinden gegen ihren erklärten Willen fusioniert werden.
Die Kirchensynode sagte deutlich Ja zum Zusammenschluss von 31 Stadtzürcher Kirchgemeinden und Oberengstringen zur Kirchgemeinde Stadt Zürich (99:5). Zugleich lehnte sie die Zusatzanträge der vorberatenden Kommission ab, Hirzenbach und Witikon gegen ihren Willen der Mega-Kirchgemeinde anzugliedern (44:59 und 41:62). Die Abstimmung erfolgte nach zweistündiger Debatte, zu den zwei Kirchgemeinden unter Namensaufruf. Die Evangelisch-kirchliche Fraktion gab geschlossen Nein stimmend den Ausschlag.
«Hirzenbach und Witikon…
Thomas Maurer, Präsident der vorberatenden Kommission, resümierte eingangs deren Beratungen, welche trotz Zeitdruck die Anhörung von Delegationen aus Hirzenbach, Witikon und Oerlikon eingeschlossen hatten. Die Kommission hatte sich um sieben Uhr in der Frühe nochmals getroffen, weil die Witiker bloss zwei Tage zuvor an einer Kirchgemeindeversammlung den Beschluss zum Alleingang bekräftigt hatten. Trotzdem blieb die Kommission bei ihrem Antrag, beide Gemeinden an die Mega-Gemeinde anzuschliessen – entgegen dem Antrag des Kirchenrats, der deren Beschluss respektierte.
Wie Thomas Maurer hervorhob, hatte Hirzenbach nicht nur den Zusammenschlussvertrag abgelehnt, sondern auch den Austritt aus dem bestehenden Stadtverband beschlossen. Die Kirchgemeinde mit knapp 1‘700 Mitgliedern beharre auf voller Unabhängigkeit. Mit der «eher evangelikalen Ausrichtung» habe man kein Problem, sagte Maurer; die Kommission sehe aber – vor allem unter finanziellen Aspekten – den Alleingang als nicht erfolgversprechend an.
Mit dem Stadtzürcher Steuersatz von 10 % werde Hirzenbach (ohne Finanzausgleich) nicht auskommen. Zugleich meinte der Sprecher der Kommission (dem Hirzenbacher Pfarrer Franco Sorbara war verwehrt worden, in ihr Einsitz zu nehmen), die Gemeinde am Stadtrand könnte doch im Ganzen der Stadtkirche als «Leuchtfeuer» eigenständig strahlen.
…nicht in die Fusion zwingen»
Der GPK-Präsident Bruno Kleeb musste sich auf grundsätzliche Bemerkungen beschränken, da die GPK keine Einsicht in die Protokolle der Kommission erhalten hatte. Die GPK bedauere sehr, «dass es im langjährigen Prozess nicht gelungen ist, alle Kirchgemeinden zu gewinnen» für den Zusammenschluss. Doch stehe, so Kleeb, eine Mehrheit der GPK hinter dem Kommissionsantrag – ohne dass dies Zwangsfusionen auf dem Land präjudiziere.
Bernhard Egg, Sprecher des Kirchenrats, wies auf die Beschwerderisiken hin. «Wir sehen das Risiko geringer, wenn Sie Hirzenbach und Witikon nicht in die Fusion zwingen.» Daher lehne der Kirchenrat in seinem Antrag die gesonderten Anträge der Kommission zu den beiden Gemeinden ab.
Die Evangelisch-kirchliche Fraktion EKF stellte den Antrag, gar nicht auf die Vorlage einzutreten. Ihr Sprecher Michael Wiesmann hielt fest, dass keine Kirchgemeindeordnung vorliegt – angesichts der Grösse der Gemeinde «fahrlässig». Auch in der Kirchenordnung der Landeskirche fehlten bisher die rechtlichen Grundlagen (Kirchgemeindeparlament!). Der Beschluss in Witikon sei noch nicht rechtskräftig. Die grundsätzliche Stossrichtung des kirchenrätlichen Antrags (Mega-Fusion, Eigenständigkeit für die beiden Nein-Gemeinden) bestritt Wiesmann aufgrund der Volksabstimmung von 2014 nicht – doch der Zeitpunkt sei verfrüht.
«Monsterprojekt»
Ivan Walther, Urdorf, unterstützte Wiesmann. Er stellte die Frage, ob man eine Kirchgemeinde mit 80‘000 Mitgliedern noch mit gutem Gewissen als Kirchgemeinde bezeichnen könne. Der gebürtige Bündner erwähnte, jene Landeskirche habe nicht so viele Mitglieder. Jetzt grünes Licht zu dem «Monsterprojekt» zu geben, sei unverständlich und unlogisch. Im christlichen und insbesondere reformierten Sinn könne ein solches Gebilde nicht mehr als Kirchgemeinde angesprochen werden – ihre Grösse verschiebe die Gewichte in der Kirche. «Die Schaffung einer Monstergemeinde ist kreuzfalsch.»
Ein Chor von Stadtzürcher Synodalen sprach sich für Eintreten und gegen den eigenen Weg von Hirzenbach und Witikon aus: Der Prozess sei zu beschleunigen; die beiden Gemeinden könnten innerhalb der Stadtkirche tun, was sie tun wollten; zu erfüllen sei der Auftrag von 2014, eine Kirchgemeinde zu bilden (damals Ja auch in den zwei Gemeinden); man habe schon viel geleistet; nun sei es Zeit, etwas Tapferes zu tun; die Grossgemeinde könne mehr Angebote machen und werde mit gebündelten Kräften besser wahrgenommen… Eintreten wurde klar beschlossen.
Schwanken in Oerlikon
In der Debatte stellte Andreas Strahm von der EKF den Zusatzantrag, auch Oerlikon vom Zusammenschluss auszunehmen. Dort hatte die Kirchgemeindeversammlung den Zusammenschlussvertrag zur Überarbeitung an den Stadtverband zurückgewiesen. Dieser Beschluss sei zu respektieren; Oerlikon könne sich gegebenenfalls später anschliessen. Hanspeter Murbach entgegnete, in Oerlikon sei kein Entscheid gegen den Zusammenschluss gefallen.
Der Stadtzürcher Thomas Grossenbacher (Liberale Fraktion) relativierte die Gemeindeautonomie: Der Stadtverband habe die Gemeinden seit langem verbunden; die Kirche stelle sich in der Stadt anders auf; der Blick auf die einzelne Gemeinde genüge nicht; das Grossprojekt verdiene Wohlwollen. Grossenbacher zitierte Augustins Wort gegen Sektierer «Cogite intrare» (Nötigt sie hereinzukommen!). Seine Fraktionskollegin Corinne Duc, Oberstrass, hielt dagegen: Hirzenbach und Witikon sei mehr Zeit zu geben. Rekurse gegen eine Zwangsfusion wären für die Reputation der Kirche verheerend.
Bald tiefrote Zahlen?
Annelies Hegnauer, Schwamendingen, widersprach und meinte, Witikon (doppelt so viele Mitglieder wie Hirzenbach, geografisch abgegrenzt) stehe besser da. Der Winterthurer Hans Martin Aeppli prognostizierte, Hirzenbach werde in tiefrote Zahlen geraten.
Franco Sorbara, Pfarrer in Hirzenbach und EKF-Mitglied, unterstrich, jahrelang habe man mit Herzblut fürs grosse Projekt gearbeitet und ab 2014 viele Ideen eingebracht, um darin die Handlungsfähigkeit der Gemeinde am Ort zu sichern – ohne Erfolg. Frustration über das aktuelle Konstrukt gebe es nicht nur in Hirzenbach, sondern in der ganzen Stadt; es sei «für die Zukunft kontraproduktiv». Mit den geplanten zehn Kirchenkreisen rücke die Kirche weg von der Basis. Sorbara: «Inhalte werden der Struktur und der Bewirtschaftung klar nachgeordnet.» Es gelte nun, sich «Machtspielen» entgegenzustellen.
Willen zur Eigenständigkeit achten!
Michael Wiesmann verwies darauf, dass die Synode bisher das Abseitsstehen viel kleinerer Gemeinden (Dorf bei Fusion Flaachtal) akzeptiert habe. Die Vertreter des Synodalvereins waren uneins: Christian Zurschmiede protestierte gegen Zwang, Andrea Widmer Graf meinte dagegen, die Legislative habe hier «Verantwortung wahrzunehmen», und Dieter Graf befand, der Entscheid, «der nicht allen gefällt», sei zu treffen.
Während Strahms Antrag zu Oerlikon keine Chance hatte (27:76), verhalf die EKF als kleinste Fraktion durch ihr geschlossenes Nein zu den Zusatzanträgen den beiden Kirchgemeinden zur Eigenständigkeit (der Synodalverein und die Religiös-Sozialen votierten klar für die Zwangsfusionen, die Liberalen mehrheitlich dagegen). In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage mit 99 zu 5 Stimmen.
Kirchenratspräsident Michel Müller kommentierte den Entscheid sichtlich erleichtert. Er wünschte den Stadtzürchern (Dutzende sassen auf der Tribüne) «Schmetterlinge im Bauch» und betonte, nun stünden alle in der Pflicht. Der Kirchenrat sehe es als seine Aufgabe, die Grossgemeinde zu begleiten und auch den beiden Kirchgemeinden beizustehen, die die Eigenständigkeit wagen.
Motion zu KirchGemeindePlus abgeschrieben
Als zweites Traktandum lag der Kirchensynode die Antwort zur Motion von Ende 2015 zu KirchGemeindePlus vor. Im Papier schätzt der Kirchenrat die bei den Gesamtkirchlichen Diensten anfallenden Kosten auf 6,25 Millionen Franken, den Aufwand für Projektkosten und Entschuldungen auf weitere 6,3 Millionen Franken.
Als Sprecher der vorberatenden Kommission blickte Kurt Stäheli in einem ausführlichen Vortrag zurück auf den Prozess der letzten Jahre (PDF). Die Motion wurde diskussionslos ohne Gegenstimme abgeschrieben-