Mit der Beteiligung von Täufern haben die Zürcher Reformierten am Beginn des 500-Jahr-Jubiläums einen ökumenischen Akzent gesetzt.

Am 6. und 7. Januar macht das Geschichtenmobil, das 67 Reformationsstädte Europas anfährt, Halt in Zürich. Der Reformationstruck steht in der weiten Halle des Hauptbahnhofs. Nach dem Festakt beim Grossmünster zur Eröffnung des Deutschschweizer Reformationsjubiläums am Vorabend finden hier die ersten Veranstaltungen der Zürcher 500-Jahr-Feier statt.

Gemeinsame Ursprünge

An der Abendveranstaltung mit Kirchenratspräsident Michel Müller und SP-Stadtrat Raphael Golta wirkt Jürg Bräker, Generalsekretär der Schweizer Mennoniten, mit. Die Täufer und die Reformierten blickten gemeinsam «auf 500 Jahre Reformieren» zurück, sagt er in seinem Grusswort. «Die Geschichten von unseren Ursprüngen in Zürich sind so eng miteinander verschlungen, dass wir sie eigentlich nur gemeinsam erzählen können.» Bräker erwähnt die Versöhnungsschritte der letzten Jahrzehnte als «ein sehr wichtiges Zeichen in unserer Zeit: Tiefe trennende Gräben können überwunden werden; auch wo Differenzen zwischen Glaubenspositionen in der Vergangenheit unüberbrückbar schienen, ist Versöhnung möglich.»*

Radikal gewaltlos

Jürg Bräker (rechts) am Podium in der Bahnhofhalle (Bild: Reformierte Landeskirche Zürich)

Laut Bräker konnten die ersten Täufer in Zürich als gefährliche Gruppe gesehen werden. «Sie wollten so leben, wie Jesus von Nazareth mit seinen Nachfolgern lebte, in aller Konsequenz. Seine Lehre sollte das ganze Leben bestimmen.» Auch das gemeinschaftliche. Heute würde man eine Radikalisierung konstatieren. Dabei, so Bräker, ist zentral, was die Täufer damals aus dem Leben von Jesus herauslasen: die Gewaltlosigkeit. «Lieber starb er, als dass er zu Gewalt gegriffen hätte, um seine Glaubensgemeinschaft zu schützen und den Fortbestand seines Glaubens zu sichern.» Gewaltfreiheit setzt darauf, «dass die Wahrheit sich selbst Raum verschafft, wenn sie glaubwürdig gelebt und bezeugt wird. Da gibt es keine Erfolgsgarantie.» Das durchzuhalten, könne sehr viel kosten.

Der Generalsekretär der Mennoniten ruft dazu auf, jene Religionsgruppen mehr wahrzunehmen, die so grundsätzlich zur Gewaltfreiheit aufrufen. «die sich trotz klarer Überzeugungen radikal dafür einsetzen, dass wir mit einer Vielfalt von Ansichten leben müssen und sie uns einander nicht aufzwingen können. Denn im Kern dieses Glaubens steht ein Gott, der lieber stirbt, als sich andern aufzuzwingen.»

Streiten, um voneinander zu lernen

Der Staat sei heute nicht mehr repressiv, fährt Jürg Bräker fort, sondern freiheitlich. «Ein solch plurales Gebilde ist aber fragil und fällt auseinander, wenn es nicht auch von gemeinsamen Überzeugungen getragen wird.» Dass diese wachsen könnten, liessen die Versöhnungsschritte der letzten Jahrzehnte hoffen: «Versöhnung mit andern Glaubenstraditionen war möglich, weil beide Seiten bereit waren, bei den andern etwas von dieser Wahrheit zu entdecken, von der man selbst ergriffen war.» Derart versöhnt, offen und lernbereit solle gestritten werden, regt Bräker an, «auch über die Religionsgrenzen hinweg. Denn gerade da, wo wir uns nicht eins sind, könnte etwas Wichtiges, noch nicht Entdecktes verborgen liegen, das wir als Gesellschaft brauchen für eine gute gemeinsame Zukunft.»

Zwei Podien mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und Bildung thematisieren am Freitag Innovation und gesellschaftliche Baustellen. Eine Siebdruckerei erstellt Zwingli-Plakate und Kirchenvertreter stehen für Gespräche mit Passanten bereit. Viele begeben sich in den warmen Reformationstruck, um Kurzfilme der Reformationsstädte zu betrachten. Die Stadt Zürich, mit Kanton und Landeskirche in einem Jubiläums-Verein verbunden, hat die Halle zur Verfügung gestellt.

Gewünscht: selbstbewusste Kirche

Am Samstag folgen weitere Tischgespräche. Den Abschluss bilden ein neu komponiertes «Bewegtes Mosaik» für Chor und vier Saxophone und ein drittes Podium zur Zukunft der Kirche, bestritten von jüngeren Protestanten. Neben Pascale Huber von den Reformierten Medien, Manuel Schmid vom ICF Basel und der Albisrieder Kirchenpflegerin Eva Fischlin sitzt Riki Neufeld, mennonitischer Jugendpastor mit paraguayanischen Wurzeln, am Tisch.

Pascale Huber, Stefan Jütte, Manuel Schmid, Eva Fischlin und Riki Neufeld im Gespräch.

Die Kirche müsse aufhören, aus falscher Bescheidenheit zu agieren, und sich selbstbewusst in die grossen Debatten – Klima, Digitalisierung – wagen, sagt Fischlin. Sie habe Jesus Christus einzubringen, fügt Schmid an, seine Kraft und das Veränderungspotenzial. «Was hat Jesus uns heute in der Gesellschaft zu sagen?» fragt der Moderator Stefan Jütte. «Das Leben ist stärker als der Tod», sagt Huber; dem Leben von Jesus liessen sich Werte und Leitlinien für die grossen Fragen ablesen. Christen unterschieden sich von denen, die meinten, die Probleme selbst lösen zu können. «Kirche ist für die Leute, die an ihre Grenzen kommen, und die das auch einsehen», doppelt Neufeld nach.

«Christus ein Gesicht geben»

Was soll die Kirche der übernächsten Generation auszeichnen? fragt Jütte. «Eine Kirche, die den Wert des Lebens definiert», wünscht Fischlin angesichts der Roboter und virtueller Welten. «Eine Kirche, wo konsequent geübt wird, radikal zu lieben», schwebt Neufeld vor. Schmid träumt von einer Kirche, «die der Person von Jesus Christus ein Gesicht gibt mitten in den Herausforderungen der Zeit», die vorausdenkt und Entwicklungen antizipiert. Huber hofft, dass dann, an den Grenzen, mit den Worten von Jesus noch gebetet und die Gnaden-bringende Weihnachtszeit besungen wird.

Der Anlass endet mit einem Ausblick von Reformationsbotschafterin Catherine McMillan und Kirchenratspräsident Michel Müller, der den Organisatoren dankt und das Geschichtenmobil verabschiedet.

* Freundschaftliche Beziehungen mit den Alttäufern pflegen die Zürcher Reformierten seit dem Begegnungstag im Rahmen des Bullinger-Jubiläums 2004, als Kirchenratspräsident Ruedi Reich um Verzeihung für die Unterdrückung der Täuferbewegung im 16. und 17. Jahrhundert bat und diese als «Verrat am Evangelium» bezeichnete. Die beiden Kirchen verbindet die Entstehungszeit: Die ersten Täufer hatten vor ihrer «Radikalisierung» mit Zwingli die Bibel studiert.

Die Verfolgung der Täufer durch den Zürcher Rat mit Billigung Zwinglis bezeichnete Gottfried Locher vom SEK im Festakt als Schattenseite der Reformation, auf den Tag genau 490 Jahre nach der ersten Hinrichtung, der Ertränkung von Felix Mantz in der Limmat.

Abriss der Geschichte der Schweizer Mennoniten
Bericht vom Festakt

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