«Eine Kirche des Wortes und des Wortes allein»

Das neue Buch «Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich» beschreibt das Werden unserer Kirche, ihre Eigenart und Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Konrad Schmid hat die Kirchenkunde seines Grossvaters Gotthard Schmid von 1954 bearbeitet und nachgeführt.

1954 erschien «Die Landeskirche des Kantons Zürich». Diese Kirchenkunde von Gotthard Schmid gab wie kein anderes Werk ein Gesamtbild der Zürcher Kirche und des Lebens der Kirchgemeinden, ihrer Lehre und Verfassung, auch des Umfelds. Der Autor, damals Pfarrer in Oerlikon, liberaler Theologe und Kirchenrat, beteiligte sich an der Kirchengesetzgebung der 1960er Jahre und starb 1968; sein Werk war lange vergriffen.

Sein Enkel Konrad Schmid, Professor für Altes Testament an der Zürcher Theologischen Fakultät, hat es nun mit Hilfe von mehreren Dutzend Gewährsleuten aktualisiert und neu herausgegeben.

Neubearbeitung
An der Vernissage, die am 6. Dezember in der Kirche St. Peter in Zürich stattfand, erläuterte Konrad Schmid sein Vorgehen. Der Zweitautor hat das Werk des Grossvaters durchgehend überarbeitet, sprachlich modernisiert, das «wir» von 1954 entfernt, damalige Wertungen (etwa antikatholische) gestrichen oder ermässigt und vieles fürs heutige Empfinden umformuliert.

Gotthard Schmid zeichnete den Weg der ersten reformierten Kirche und ihre Wandlungen über die Jahrhunderte nach und schilderte Gemeindeleben in Zürcher reformierter Prägung. Das von ihm gesammelte Material ist nun erneut greifbar, wofür seinem Enkel, dem TVZ und den Sponsoren zu danken ist. Allerdings hat die Geschlossenheit des ursprünglichen Werks gelitten, auch sein pastoraler Ton (Konrad Schmid hebt die «Verbundenheit des Autors mit seiner Kirche» hervor).

Ein stattlicher Band von Grossvater und Enkel: die neue Kirchenkunde.

«Wer dient Gott?»
Ein Beispiel mag zeigen, wie sich die Zeiten geändert haben. Zur Einleitung ins Gottesdienst-Kapitel schrieb Gotthard Schmid 1954, im Rückblick auf die Reformation: «Wer dient Gott? Nicht nur der Priester, nicht nur der Mönch, die Nonne, sondern jeder Gläubige, der im Gehorsam gegenüber seinem Gott durch sein Leben geht. (…) Gottesdienst soll das ganze Leben sein. Die Mutter, die ihre Kinder in Zucht und Vermahnung zum Herrn erzieht, der Vater, der sich verantwortlich für seine Familie weiss; der Lehrer, der in der Schulstube steht, der Handwerker, der Bauer, der Arbeiter, die Magd – alles treue Wirken und Schaffen ist Dienst zur Ehre Gottes. Das ist reformiertes Denken» (Seite 29f).

Konrad Schmid formuliert: «Wer dient Gott? Nicht nur der Priester, nicht nur der Mönch, die Nonne, sondern jede und jeder Gläubige, die oder der aus dem Evangelium lebt. (…) Gottesdienst soll das ganze Leben sein. Wer immer seine Arbeit redlich verrichtet – in der Dienstleistung, im Haushalt, im Handwerk, in der Landwirtschaft, im Unterricht, in der Pflege, in selbständiger Tätigkeit –, alles dieses Wirken und Schaffen ist Dienst zur Ehre Gottes. Das ist reformiertes Denken» (Seite 50).

Der Zweitautor hat die Fülle von Informationen, die der Grossvater «aus der Praxis für die Praxis» zusammenstellte, in dem (Zürich-lastig) illustrierten Werk wieder zugänglich gemacht. Er behält in seinem nun «historische Kirchenkunde» betiteltem Werk manche Untertitel bei, so «Missionsgemeinde».

Der Autor Prof. Konrad Schmid an der Vernissage.

Wo die Landeskirche zugelegt hat
Konrad Schmid sagte an der Vernissage, für seinen Grossvater sei kirchliches Leben Gemeindeleben gewesen. Die Akzentverschiebung der letzten 70 Jahre zeigt das neue Kapitel über den Apparat der Landeskirche, die Gesamtkirchlichen Dienste an, wo auch die Zürcher Streetchurch und das Pilgerzentrum im St. Jakob knapp porträtiert werden. Neu sind zudem die zehn Seiten über andere Religionsgemeinschaften im Kanton und das Forum der Religionen. Aktualisiert und erweitert wurden die Auskünfte über die anderen Kirchen im Kanton.

Aufschlussreich sind die Stellen im Buch, welche die Abhängigkeit der Reformierten vom Staat beleuchten, die seit den 1520er Jahren bestand. 1905 genehmigte der Regierungsrat die neue Kirchenordnung nur unter der Bedingung, dass die Taufe von Neumitgliedern fakultativ sein müsse – Taufe sei «Zeichen» der Mitgliedschaft. So setzte die Regierung ihr Verständnis von Religionsfreiheit durch. 1921 verweigerte sie den ersten studierten Theologinnen das Pfarramt; es wurde ihnen erst 1963 ermöglicht.

Pietismus nicht mehr «gefährlich»
Wie sein Grossvater betrachtet Konrad Schmid die Landeskirche von der Zürcher City aus, wo er sich auch engagiert. Der Pietismus wird behandelt – als wichtige Strömung im 18. und 19. Jahrhundert. Gotthard Schmids Distanz zu ihr drückte sich in seiner Wertung aus, die pietistische Frömmigkeit sei «hin und wieder in eine gefährliche Gefühlsseligkeit um die eigene Seele» versunken. Und vor allem sei der Pietismus «je länger je mehr in eine gefährliche Gesetzlichkeit» verfallen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sei er «in seiner alten Form mehr und mehr in die neben der Kirche stehenden Gruppen und Gemeinschaften abgedrängt worden». Die berechtigten Anliegen wirkten allerdings auf neue Weise weiter, schrieb Gotthard Schmid und erwähnte die Oxfordbewegung der 1930er Jahre und «Boldern», die von Pietisten gegründete Männedorfer Heimstätte.

Fokus auf die City: das Fraumünster und St. Peter am Abend des 6. Dezember.

Konrad Schmid übernimmt den Text des Erstautors weitgehend, lässt das doppelte «gefährlich» weg und schliesst mit dem Satz: «Seither ist er in seiner herkömmlichen Form mehr und mehr in die neben der Kirche stehenden Gruppen und Gemeinschaften ausgewandert und in Form von Freikirchen heute sogar wieder sehr erfolgreich geworden» (Seite 366).

Ergänzungsbedürfig
Für den Autor scheint nicht von Belang zu sein, dass reformierte Kirchgemeinden pietistisch-erwecklicher Prägung sich heute in ihrer Vitalität vom Durchschnitt positiv abheben und dass ein grösserer Anteil der (dringend erwünschten) Theologiestudenten aus diesen Gemeinden kommt. Die STH Basel wird in die freikirchliche Ecke gestellt (Seite 230).

Die sehr informative Kirchenkunde ist hier einseitig. Wer sich ein ausgewogenes Bild verschaffen will, greife zum ebenfalls 2023 im TVZ erschienenen Buch «Frommes Zürich» von Armin Sierszyn. Es ist im Literaturverzeichnis aufgeführt, wird aber nicht ausgewertet.

Reisst das Band?
In seiner «historischen Kirchenkunde» stellt Konrad Schmid schon im ersten Kapitel die Frage der Trennung von Kirche und Staat. Er erwähnt das soziale Engagement der Kirche; «zum anderen aber scheint die Verbundenheit der Zürcherinnen und Zürcher mit ihrer Kirche so gross, dass sie sie auch dann finanzieren möchten, wenn sie in ihr nicht oder nur selten aktiv mitwirken» (Seite 39).

Das Zentrum Zürichs vom Üetliberg aus gesehen.

Ob dies wahr ist und wahr bleibt, wird sich zeigen. Der Anteil der Reformierten an der Kantonsbevölkerung liegt bereits unter einem Viertel und sinkt letzthin rascher. Die neue Studie zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Landeskirchen hält fest, «dass die Befragten alle abgedeckten Aspekte kirchlicher Tätigkeiten grundsätzlich kritischer bewerten» (Seite 99). Die Gottesdienste werden weniger besucht, die Angebote insgesamt weniger genutzt.

Gotthard Schmid, Konrad Schmid
Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich
Eine historische Kirchenkunde
TVZ Zürich, 2023, 496 Seiten, 15.0 x 22.5 cm, Hardcover
ISBN 978-3-290-18553-4
CHF 48.00

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